Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Da reiche es ebenfalls nicht, aber der Investitionsrückfluss sei dort schneller und höher.
Kulakow unterbrach mich schroff: »Du sagst Dinge, mit denen ich nicht einverstanden sein kann. Nicht immer kann man Investitionen nur dahin schicken, wo der Rückfluss hoch ist. Es gibt schließlich noch eine Rentabilität in Form der Geschichte. In der Nicht-Schwarzerde-Zone sind die Grundlagen unseres Staatswesens gelegt worden. Und die schweren Bedingungen, unter denen die Menschen dort jetzt leben müssen, kann man nicht einfach hinnehmen.«
Wir einigten uns auf diese Einschätzung. Unser Gespräch wandte sich den wirtschaftlichen Problemen der Landwirtschaft zu.
»Man kann doch nicht die Verkaufspreise der landwirtschaftlichen Produkte weiter auf diesem Niveau halten«, sagte ich. »Das Getreide, das wir im Ausland kaufen, ist um ein Vielfaches teurer als das, was wir unseren Bauern, Kolchosen und Sowchosen zahlen. Da gibt es ja gar keinen Anreiz, durch technische Neuerungen und Kürzung des Brennstoffverbrauchs eine höhere Produktivität zu erreichen! Was geschah nach dem neunten Fünfjahresplan, einem guten und erfolgreichen Plan? Plötzlich wurden die Preise für Düngemittel, Brennstoff, Baumaterialien und neue technische Geräte angehoben. Mit anderen Worten: Die Landwirtschaft wird nach wie vor als eine ›innere Kolonie‹ behandelt, die für die Entwicklung der Industrie ausgebeutet wird.«
Kulakow regte sich auf. Ich bedauerte fast, dass ich ihm diese Probleme mit dieser Offenheit und Dringlichkeit dargestellt hatte.
Wir Mitglieder des ZK wussten, dass im nächsten Jahr eine Plenartagung zur Landwirtschaft stattfinden sollte. Und ich dachte, unser Gespräch käme gerade recht. Am Schluss unserer Diskussion sagte Kulakow: »Wenn du so gut durchblickst, dann schreib mir doch einen Bericht, in dem all das steht, was du mir gesagt hast.«
Ich weiß nicht, vielleicht dachte er, ich würde ablehnen, aber ich sagte: »Gut. Ich fange sofort damit an.«
Zum 1 . Januar 1978 wurde ich fertig und schickte die 72 Seiten des Berichts an Kulakow persönlich. Es verging etwas Zeit, dann rief Kulakow an: »Hast du etwas dagegen, wenn ich deinen Bericht an die Mitglieder der Kommission zur Vorbereitung der Plenartagung schicke?«
Das hatte ich nicht erwartet. Ich sagte: »Fjodor Dawydowitsch, der Bericht war doch nur für Sie persönlich bestimmt. Wenn Sie einen Bericht für die Mitglieder der Kommission wollen, dann muss ich noch Ergänzungen vornehmen.«
Ehrlich gesagt, hatte ich die Probleme in dem Bericht zu impulsiv angepackt; die Kommission hätte das als arrogant empfunden. Ich überarbeitete den Bericht, feilte an der Argumentation, kürzte, strich Ungenauigkeiten und subjektive Gefühlsausbrüche. Ich schickte die 54 Seiten an Kulakow, der sie an die Kommissionsmitglieder weiterleitete.
Der Bericht spielte eine große Rolle in meinem Leben. Ich war zufrieden mit mir, dass ich nicht katzbuckelte, sondern viele drängende Probleme im ZK anschnitt. Es kamen auch Vorschläge von anderen Kollegen. Eine ansehnliche Materialsammlung kam zusammen, auf deren Grundlage das Plenum große Entscheidungen treffen musste. Ich wurde gefragt, ob ich nicht auftreten wolle. Schon das war ein Ergebnis meines Berichts.
Dazu muss man die merkwürdige Situation kennen, die weder ich noch andere verstehen und erklären konnten. Immerhin knapp neun Jahre war ich Erster Sekretär des Regionskomitees und ZK -Mitglied gewesen. Ich hatte mehrfach den Wunsch gehabt, zur einen oder anderen Frage in der Debatte Stellung zu nehmen, doch mir wurde kein einziges Mal das Wort erteilt. Ohne es genau zu wissen, glaube ich, dass sie mich dadurch »erziehen«, bremsen wollten, obwohl ich nicht behaupten kann, sie hätten mich schlecht behandelt. Aber gebremst haben sie mich schon. Ich glaube nicht, dass meine Vermutungen völlig falsch sind.
Die Kaderprobleme an der Spitze hatten sich offensichtlich zugespitzt. Nun fragte man mich also vor dieser Plenartagung, ob ich auftreten wolle. Das war eine Warnung. So etwas war noch nie vorgefallen. Offenbar hatte es eine Vorentscheidung gegeben. Ich sagte ja und fügte sogar hinzu: auf der Grundlage der Gedanken und Ideen, die ich in meinem Bericht geäußert habe. Die Antwort war einfach: Ja, ja, ja. Ich bereitete mich gründlich auf die Plenartagung vor.
Es gab einen großen Kampf um den Inhalt und die Beschlüsse der Tagung. Ich saß im Saal neben dem Minister für Landwirtschaft der Russischen
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