Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
Sekunde. Ich sah plötzlich ein Paar Hörner auf mich zukommen. Todesangst schoss mir in den Darm. Dann gab es eine Lücke im Zeitkontinuum. Plötzlich fand ich mich auf dem Boden wieder mit einer blauen Mülltonne über mir. Die Kuh rammte ein Horn in die Tonne, Zeitungen und Kartons purzelten über den Fußweg. Ich rollte mich weg. In ein Beet Geranien.
    Dann war alles vorbei. Die Kuh war im Zug der Rinder verschwunden. Oder war es ein junger Stier gewesen? Ich rappelte mich auf. Meine Rippe spürte ich sofort, meinen Ellbogen etwas später.
    Jacky feixte. »Ich dachte, du kennst dich aus mit Kühen!«
    »Nimm dich in Acht! Noch so was, und du kriegst ein Brett, dass dir die Zähne ins Hirn rutschen. Klar?«
    Sie wandte sich lachend ab.
    Gegen eins schlenderte der letzte große Stier durchs Tor auf eine Weide tief in einem stockfinsteren Tal hinter den Pappeln. Barbara schloss das Tor und drehte an den Zahlenrädern eines Vorhängeschlosses. Zumindest hörte es sich so an, denn sehen konnte ich in der Dunkelheit kaum etwas.
    »Das Loch in der Westweide suchen wir morgen«, sagte sie.
    Richard reichte Maxi die Trompete, deren Klängen wir anderthalb Stunden lang zusammen mit der Herde durch ganz Frommern bis ins Tal gefolgt waren. Maxi hauchte: »Danke.« Und Jacky fügte mit einem kirren Lächeln in der Stimme an: »Gut gemacht, Onkel Richard.« Sein sparsames Herz trieb Blüten, kleine, aber ungemein hübsche. Ich sah es nicht, aber ich hörte es am vergnügten Unterton seiner Stimme, als er antwortete.
    »Und Lisa, wo schläft sie heute Nacht?«, fragte Barbara nüchtern. »Wie ich Lotte kenne, hat sie kein Gästebett mehr frei.«
    »In Balingen wird man doch sicher noch ein Hotel finden, das offen hat«, bemerkte Richard.
    »Wozu der Umstand? Lisa kann auch bei uns schlafen«, antwortete Barbara. »Oder hast du etwas dagegen?«
    Was hätte Richard dagegen haben sollen? Vernünftigerweise nichts. Und er war ein vernünftiger Mann.
     

8
     
    Ich wachte in einem Verschlag auf, der nicht breiter war als das Fenster und nicht tiefer als das Bett, auf dem ich lag. Etwas lief unrund. Neben mir schlängelte sich der Schlauch eines Staubsaugers auf nackten Brettern. Der Saugkörper stand in der Ecke neben einem schiefen Sekretär, den ich mit der Hand vom Bett aus berühren konnte und der einen kratzigen Geruch nach Wachs und Holzschutzmitteln verströmte. Unter dem Fenster hatte sich Cipión auf meinem silbergrauen Leinenanzug zusammengerollt.
    Ich hustete. Mein Hirn kam nur holpernd in Gang. Der Gedanke, dass etwas in die falsche Richtung rollte, verflüchtigte sich. In der Dachrinne unmittelbar über dem Fenster stritten sich tschilpend Spatzen. In der Nacht hatten auch Katzen geschrien. Es hatte geklungen, als würde ein Baby ermordet.
    Ich befand mich auf dem Zeitentalhof. Ja, richtig.
    Und eine Rippe schmerzte, weil mich gestern eine Kuh erwischt hatte. Und mein Herz fühlte sich an, als hätte man etwas herausgerissen. Dabei hatte ich doch nur Richard am Weidentor zurückgelassen und war mit Barbara mitgegangen.
    »Du hast doch nicht erwartet«, hatte sie unverzüglich begonnen, mich zu vereinnahmen, »dass Rocky sich mit seiner Mutter anlegt, um seiner katholischen Freundin Gastrecht zu verschaffen?«
    Ich hütete meine Zunge. Nachtgespräche im Niemandsland waren gefährlich. Am andern Morgen bereute man alles. Aber Barbara hatte keine Antworten erwartet.
    »Rocky war nie der Typ«, sagte sie, »der zu Hause Aufstand gemacht hat. Mit mir hat er sich heimlich getroffen. Unsere Feinde waren die pottsylvanischen Schurken, nicht unsere Eltern. Martinus hatte eigentlich sieben Söhne haben wollen, einen fürs Pfarramt, einen Nachfolger für die Firma, einen, der Jurist wird, einen, der für die Fußballnationalmannschaft das WM-Tor schießt, einen, der Banker wird, und einen Lehrer. Wie die zwölf Söhne Israels, hat Lotte mir einmal erklärt, Levi der Priester, Juda der König, Dan der Richter und so weiter.«
    »Immerhin ist Richard Jurist geworden.«
    »Einen Musikanten gibt es wohl nicht unter den zwölf Söhnen Jakobs.«
    »Nein, nur Krieger, Schiffer, Ackerbauern und einen guten Läufer, Naftali, der das WM-Tor hätte schießen können.«
    »Pech für Rocky, dass Lotte keine weiteren Kinder bekommen hat. Vermutlich, weil sie nicht konnte, denn in den Fünfzigern gab es die Pille ja noch nicht. Sie hat auch scheint’s mehrere Fehlgeburten gehabt, bevor Rocky kam. Martinus hat jedenfalls den ganzen Katalog von

Weitere Kostenlose Bücher