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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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durften endlich ihren Onkel Richard kennen lernen. Und sie bewundern ihn. Vor allem Jacky. Und Vicky hat sich, glaube ich, regelrecht mit ihm angefreundet. Rocky kann überraschend gut mit jungen Menschen.«
     
    Ich schwang die Beine aus dem Bett. Cipión hob den Kopf und gähnte quietschend. Irgendwo im Haus schrie ein Säugling. Vielleicht war das heute Nacht doch keine Katze gewesen.
    »Schlaf gut«, hatte Barbara zu mir gesagt, als sie mich in dem Kabuff ablieferte, und ihre Worte waren mir zwischen die Schenkel gepurzelt.
    Ich zupfte meinen silbergrauen Leinenanzug unter Cipión hervor, der mich vorwurfsvoll anschaute. Die Falten, die er in den Stoff geplättet hatte, verschlimmerten den Gesamtzustand nur unwesentlich. Mein Kampf mit der Kuh hatte grünliche Flecken hinterlassen, die sich nur unvollkommen ausklopfen ließen. Das rosafarbene Seidenhemd war verschwitzt.
    Beim Versuch, in die Golfschuhe zu schlüpfen, behinderten mich mein morgendlicher Mangel an Koordination und die Schnürsenkel. Ich kippte den Schuh über Kopf, damit die Senkel herausfielen. Aber es fiel auch etwas Achtbeiniges heraus. Der Schock hieb mir unverzüglich den Schuh aus der Hand. Das Tier hatte neben acht Beinen auch zwei Arme mit Krabbenscheren und einen hochgerollten Stachelschwanz. Einen Wimpernschlag später war es unterm Bett verschwunden.
    Du spinnst! Ein Skorpion, hier?
    Cipión guckte mich fragend an. Irgendwas hätte er doch bemerken müssen. Mit spitzen Fingern hob ich den zweiten Schuh auf und drehte ihn um.
    Wiede r einmal voller Zweifel an meinem Geisteszustand verließ ich das Kabäuschen, das, wie mir Barbara erklärt hatte, aus Zeiten der Kinderaufzucht mithilfe von Au-pair-Mädchen stammte. Man hatte das Ende des Gangs im ersten Stock mit einer Pressspanplatte verschlossen. Der Sekretär hatte den armen Mädchen als Schrank und Heimwehbriefunterlage gedient, und der Staubsauger störte ja nicht wirklich beim Schlafen. Hier oben lagen auch die Zimmer von Oma Anna, der ältesten Tochter Henriette und der beiden Eheleute, Jürgen und Barbara, die in getrennten Betten und Räumen schliefen.
    Die Küche befand sich unten. Es war eine große Bauernküche mit zweiter Tür nach draußen und einem langen Tisch mit Eckbank und Stühlen für acht Personen. Barbara war dabei, Henrys Kipf von der Flasche zu überzeugen. Das Kipf war weiblich und stand in Windeln auf dem Stuhl, klammerte sich an die Lehne und brüllte. Das Problem war, dass es zwar Hunger hatte, aber keine Milch mit frisch in der Schnitzermühle gemahlenem Weizen mochte.
    »Dann musst du eben warten, bis deine Mama geruht aufzustehen«, bemerkte Barbara entnervt. »Willst du duschen?«, fragte sie mich über die Lungenzüge des Kipfs hinweg und deutete auf die zweite Tür.
    Cipión folgte mir besorgt. Wir traten in einen Gang mit Regalen, Waschmaschine, Toilette und Badezimmer. Eine weitere Tür öffnete sich zum Wäschetrockenplatz. Der sonnige Morgen wehte das Versprechen herein, dass es heiß werden würde. Im Regal befand sich neben Putzmitteln und Körben mit Dreck- und Bügelwäsche auch ein Sack Hundefutter. Ich legte Cipión ein paar Brocken auf den Betonboden und begab mich ins Badezimmer. Im Waschbecken trockneten Flecken ein, die nach Blut aussahen. Am Haken für den Duschkopf hing ein Kleiderbügel mit zwei braunrot verfärbten, zu kleinen Schlingen geknüpften Stricken.
    Ich beschloss die blutigen Signale unheimlicher Rituale zu ignorieren, fand für meine Klamotten eine Lagerstatt auf dem Fensterbrett. Die Waschbeutelkultur gehörte nicht zu meiner. Was ich brauchte, gab es in jedem mitteleuropäischen Badezimmer.
    Als ich in die Küche zurückkehrte, kroch das Kipf auf dem Boden herum, lutschte an einem trockenen Brötchen und versuchte gleichzeitig, einen Zipfel von Samantas Schlafkorbfell in den Mund zu bekommen. Außerdem war Jacky erschienen und hatte mit einem Becher Kaffee und dem Päckchen Feinschnitt am Tisch Platz genommen, auf dem zweiten Stuhl von der Tür aus. Die Uhr über der Tür zeigte kurz nach halb acht.
    »Alles gut?«, erkundigte sich Barbara.
    Nichts war gut. Barbara war, bei Morgenlicht betrachtet, eine kitzlige Mischung aus bäurischem Geläuf und mädchenhafter Grazie. Das Untergestell steckte in patinierten Jeans aus den Neunzigern, die Füße in Trekkingsandalen, das T-Shirt verriet einen zierlichen Knochenbau und erprobte Brüste, und in den sehnigen Armen steckte Kraft. Sie trug keinen Schmuck, nicht einmal einen

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