Allmachtsdackel
Sechshundert Kilo!«
Ich sah vor meinem inneren Auge Cowboys riesige Herden über die Prärie treiben.
»Und so eine Herde in Panik zu versetzen, ist erstens gar nicht so leicht und zweitens wollen wir es nicht. Zweihundert Tiere im Galopp durch die Gassen, das wäre tödlich. Auf so was warten unsere Feinde doch nur.«
Einige Feinde hingen bereits in den Fenstern der sanierten Häuschen und hatten sich an der Brücke versammelt.
»Und am Halfter und Strick führen geht auch nicht«, ergänzte Maxi mit dem Vergnügen Halbstarker an mitternächtlichen Katastrophen. »Unsere Rinder sind nicht mehr führig.«
Inzwischen hatte die Neufundländerhündin Samanta sich gesetzt. Sie blickte überallhin, nur nicht zu den Kühen.
Jacky schlappte zu uns herab. »Alice benimmt sich komisch«, berichtete sie. »Sie traut nicht einmal mehr Samanta.« Sie zog eine Packung Drehtabak aus ihrer Gesäßtasche und musterte mich unter den Augenbrauen hervor. »Und was will die hier? Das ist kein Streichelzoo.«
»Ich komme vom Land, von da, wo die Misthaufen am Straßenrand dampfen. Heute noch!«
»Und, hilft dir das irgendwie weiter?« Sie zupfte ein Blättchen aus dem Briefchen, rollte knisternd den Tabak, leckte das Papierchen, klappte es über den Zeigefinger und drückte es fest.
Ich fühlte mich alt und widerlich weise. Mit meiner einst vom Saftfabrikantensohn Todt Gallion geerbten halben Million auf dem Konto wäre es albern gewesen, wieder zu drehen, nur um mich wie siebzehn zu fühlen. Und so schön war mein Leben als Siebzehnjährige auch nicht gewesen. Ich hatte mich ausgerechnet in die frömmste meiner Mitschülerinnen verliebt, abgesehen von meiner Dauerschwärmerei für die vollbusige hölzerne Madonna auf meiner Kommode.
Doch gerade jetzt summte wieder dieses pubertäre Verlangen knapp über meinem Schambein. Barbara stand fest auf beiden Beinen und musterte mit angelegtem Kinn die Herde. Etwas Jungfernhaftes schwebte in dieser Figur, wenn ihr auch die Beckenknochigkeit der Töchter fehlte, die sie geboren hatte. Mit einem kleinen Ruck in den Schultern korrigierte sie die Aufrichtung ihrer Wirbelsäule. Unter den Wimpern hervor schoss mich plötzlich ihr Blick an, Spott auf den leicht vorgeschobenen Lippen.
Ich blinzelte woandershin. Jacky fischte mit zwei Fingern in der knappen Jeanstasche nach ihrem Feuerzeug, aber vergeblich. Sie hatte es vorhin Maxi gegeben, damit sie die Kerzen im Totenzimmer wieder anzündete, und die hatte es auf dem Nachttisch liegen lassen. Ich half Jacky mit meinem aus, um mich wenigstens als Kavalier zu fühlen.
»Danke«, sagte sie mit angespitzter Stimme, befeuerte ihre Tüte und blies den Rauch an geschlitzten Augen vorbei in den Nachthimmel.
»Ja, wenn Vicky hier wäre, mit seiner Trompete«, sinnierte Maxi.
Ein Paar Scheinwerfer kam über die Brücke. Die Schatten der Gaffer geisterten die Straße entlang. Barbara drehte sich hastig um.
Es war ein Polizeiwagen.
»Licht aus!«, rief Barbara und stürzte sich die Straße hinunter in die Scheinwerfer. Der Wagen hielt mit einem Ruck.
»Die Bullen haben uns gerade noch gefehlt!«, schnaubte Jacky und schaute mich an, als hätte ich sie bestellt. Dann drehte sie sich um und stapfte die Straße wieder hinauf, wo sich Samanta inzwischen hingelegt hatte.
Die Scheinwerfer verloschen.
»Was macht Vicky mit seiner Trompete?«, erkundigte ich mich bei Maxi.
»Das heißt eigentlich Flügelhorn. Das klingt weicher als eine Trompete, sagt Vicky. Er lockt damit die Rinder. Sie mögen das.«
»Und wo ist das Flügelhorn?«
»Zu Hause. Wieso? Kannst du Flügelhorn spielen?«
»Nein. Aber Richard vielleicht.«
»Onkel Richard?« Maxi lächelte versonnen.
Ich zog mein Handy aus der Jacke und drückte die 7, Richards Kurzwahlziffer. Er war sofort dran. »Lisa! Alles okay?«
»Bestens. Wo bist du?«
»Mit Cipión Gassi.« Hatte er also endlich die Ausrede gefunden, seine Zigarette zu rauchen.
»Kannst du Flügelhorn spielen?«
»Warum?« Richard gehörte zu den Männern, die nie auf einfache Fragen antworteten.
»Wir stehen hier im Altort, Auge in Auge mit störrischen Kühen, und Maxi meint, mit dem Flügelhorn von Vicky könne man sie in Bewegung setzen.«
»Gib sie mir mal.«
Ich gab das Handy weiter. Das Kind lauschte und lächelte und antwortete schüchtern wie ein Teenager nur mit Ja und Nein. »Alles klar«, sagte sie schließlich und gab mir das Telefon zurück. »Ich geh es holen.« Und schon hatte sie ihre Beine Richtung
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