Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Mai zeigte eine pinke »Desert Beauty«. Seit drei Monaten hatte Liz den Kalender nicht umgeblättert.
Seltsam.
Er rieb sich das Gesicht.
Nach einer halben Stunde setzte die Wirkung des Koffeins ein. Es kribbelte im Körper. Er fühlte sich rastlos, unternehmungslustig.
Jetzt würde er sich die Garage vornehmen.
Wer weiß, was Liz dort versteckt hatte. Er hoffte auf seinen alten Plattenspieler.
Er nahm den Garagenschlüssel vom Schlüsselboard. Ein kleiner Schlüssel mit Micky-Maus-Anhänger. Dieses Mal benutzte er nicht die Hintertür. Er ging ums Haus herum zur Einfahrt, öffnete das große Garagentor. So hatte er mehr Luft und Licht.
Er zog den Kopf ein. Staub kitzelte in der Nase. Vor ihm die Wand aus Kartons. Wo sollte er beginnen? Er versuchte, die verblichenen Beschriftungen zu lesen, und hob die oberen Kartons herunter. Alte Bücher, Kleidung, Kinderspielzeug. In einem schweren Karton Fotoalben. Obenauf ein mit grünem Stoff bezogener Band mit Storch.
In goldener Schrift las er den Namen »Derek«.
Vorsichtig trug er den Karton ins Haus. Setzte ihn mitten im Wohnzimmer ab. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er die Fotos zum letzten Mal gesehen hatte. Ob er sie überhaupt schon einmal gesehen hatte. Liz hatte die Alben zusammengestellt und aufbewahrt. Vorsichtig nahm er eins nach dem anderen aus der staubigen Kiste.
Die ganz alten mit buntem Stoff bezogen, die neueren aus Kunstleder. Er fuhr mit der Hand über das oberste. Das grüne mit Storch. So viel Vergangenheit. Bevor er den Mut aufbrachte, eines der Alben zu öffnen, brauchte er einen Drink. Er holte Eiswürfel aus der Küche und goss sich einen Scotch ein.
Doppelt.
10
1983. Liz in Jeanslatzhose, Derek auf ihrem Arm. Ein dickes blondes Baby. Nackte Speckbeinchen im blauen kurzen Strampler. Das Bild war in ihrem Garten aufgenommen worden. Lupinen im Hintergrund. Er stand am Grill, Peter daneben mit Schnurrbart. Kleiner, schmaler, verschmitzt. Kurze Jeans, offenes Hemd. In ihren Händen Heineken. Sie prosten sich zu.
Sie hatten Heffners gerade kennengelernt. Liz war täglich mit dem Kinderwagen spazieren gegangen. Hatte in der Nachbarschaft ihre Kreise gezogen. Die Frauen waren sich immer wieder auf der Straße begegnet. Hatten Müdigkeit und Unsicherheit der anderen erkannt und sich verbunden gefühlt. Bald waren sie gemeinsam spazieren gegangen, tauschten sich täglich aus. Liz erwähnte Doreen immer öfter.
Dann lud Doreen sie zum Dinner ein. Die Ehemänner sollten sich kennenlernen. Er war dagegen gewesen, hatte keine Lust gehabt, nach der Arbeit zu Nachbarn zu gehen. Liz reagierte mit Tränen. Es war ihr offenbar wichtig.
Ein paar Abende später gingen sie mit einer Flasche Wein unter dem Arm hinüber zu Heffners. Liz’ Freundin Meredith sprang als Babysitter ein. Peter hatte ihn sofort für sich eingenommen. Seine offene Art, die verbindliche Ernsthaftigkeit hatten ihm gefallen. Natürlich musste Liz das auch gefallen haben. Peter war so viel galanter als er. Er erinnerte sich, dass er sich in Peters Gegenwart oft hölzern gefühlt hatte. Wie ein Geselle, der noch einiges lernen kann vom Meister.
Peter hatte ihn wie einen alten Freund begrüßt. Herzlich und aufmerksam. Sie hatten über Golf und Baseball gesprochen. Peter war Red Sox Fan. Klar. Er stammte aus Boston.
Auch Doreen strahlte Wärme und Herzlichkeit aus. Er bemerkte, wie entspannt Liz in ihrer Gegenwart war. Das Reden über die Kinder tat ihr gut. Sie tranken bis spät in die Nacht Wein. Und einige Wochen später kamen Heffners zu ihnen. Bald waren sie fester Bestandteil ihres Lebens.
Tim wischte sich die Augen. Goss sich nach, schob eins der Sofakissen in den Rücken. Diese verdammte kleine Couch.
Das nächste Bild war etwa zwei Jahre später aufgenommen, 1985. Die Familie zusammen auf einer Decke im Garten. Derek mit Latzhose und Eis am Stiel. Liz mit kurzem Haar. Sie sah müde aus. Angespannt.
Wenige Wochen zuvor hatte sie die Fehlgeburt gehabt und sich das lange Haar abgeschnitten.
Durchweinte, schlaflose Nächte und endlose Arztbesuche zehrten an ihren Kräften. Liz hatte das zweite Baby im sechsten Monat verloren. Ein Albtraum, auch für ihn. Peter hatte das Bild gemacht. Hatte er damals schon ein Auge auf Liz geworfen? Tims Magen zog sich zusammen. Möglich war alles. Er blätterte weiter. Dereks erster Kindergartentag, das erste Fahrrad, Fußball spielend, mit Geburtstagskuchen vor sich.
Mit den Bildern flogen die Jahre vorbei. Damals hat man nicht
Weitere Kostenlose Bücher