Allmen und die Dahlien (German Edition)
es vermutlich die finanziellen Mittel des Schenkenden.«
Der alten Frau wurde das Drumherumgerede zu viel: »Das Bild war geklaut, basta. Nächste Frage.«
»Wie hoch schätzen Sie den Wert des Werks?«
»Für mich ist es unbezahlbar.« Sie sah Cheryl Talfeld an, die wieder ihr Dossier aus der Handtasche nahm und darin blätterte. »Im Jahr 2000 ging bei Christie’s New York ein Blumenbild von Fantin-Latour für über dreieinhalb Millionen Dollar…«
»Kein Vergleich«, unterbrach Dalia Gutbauer verächtlich, »die Dahlien sind hundertmal schöner.«
»Es war ein bisschen größer als die Dahlien«, fuhr Frau Talfeld fort, »aber es ist auch eine ganze Weile her.«
»Kein Vergleich«, wiederholte Madame Gutbauer.
»Sie würden es also höher einschätzen?«, fragte Allmen.
Sie wollte antworten, besann sich aber anders und fragte: »Ihr Erfolgshonorar besteht aus einem Prozentsatz des Wertes, nicht wahr?«
»Zehn Prozent des fakturierten Aufwands oder des Wertes des Wiederbeschafften, je nachdem, was höher liegt.« Allmen waren Honorargespräche immer etwas peinlich. Aber Dalia Gutbauer offensichtlich nicht.
»Kommt es oft vor, dass Ihr Honorar höher ist als zehn Prozent des Wertes des Diebesguts?«, erkundigte sie sich lächelnd.
»Es gibt Fälle, in denen es um den immateriellen Wert geht. Und der liegt manchmal weit über dem tatsächlichen«, gab Allmen etwas formell zur Antwort.
»Dann gehen Sie meinetwegen von diesen dreieinhalb Millionen aus. Materiell. Immateriell das Doppelte.«
Allmen machte sich eine Notiz.
»Nächste Frage«, sagte Madame Gutbauer.
Allmen ging seine Standardfragen durch, die er mit Carlos’ Hilfe memoriert hatte wie ein Schüler seine Vokabeln. Haben Sie einen Verdacht? Haben Sie etwas beobachtet? Wer hat alles Zugang zur Wohnung? Wer wusste von dem Bild?
Die Damen hatten weder einen Verdacht noch etwas beobachtet. Frau Talfeld diktierte ihm die Namen der Leute, die Zugang zur Wohnung hatten und von dem Bild wussten, während Dalia Gutbauer eine Goldkette aus ihrem Schlingkragen fischte, an der ein roter Funksender hing. Sie drückte darauf, und einen Augenblick später betrat die Pflegerin den Raum und half Madame Gutbauer auf die Beine.
Allmen erhob sich und bot ihr seinen Arm. Ihre krumme Hand mit den perfekten roten Nägeln hielt sich daran fest wie die Krallen eines Falken.
»Das Administrative erledigt Frau Talfeld, nicht wahr, Cheryl?«, sagte sie. Und: »Ich verlasse mich auf Sie, Allmen. Ich will das Bild zurück.«
Er sah ihr zu, wie sie ihr Gehgestell aus dem Salon wuchtete und unter den wachsamen Augen ihrer Pflegerin im Korridor verschwand.
Sobald sie wieder allein waren, bemerkte Frau Talfeld: »Ich nehme an, Sie brauchen einen Vorschuss.«
»Ach so«, antwortete Allmen vage, »unsere Buchhaltung wird gegebenenfalls auf Sie zukommen.«
4
Die Mansarde, die Carlos als Wohn- und Arbeitszimmer diente, war seit dem Einzug von María Moreno noch enger geworden. Ihr Kleiderschrank stand wegen der Dachschräge weit im Zimmer drin, und man musste gebückt hinter ihm durchgehen, um zu dem kleinen Schreibtisch zu gelangen, auf dem Carlos’ Computer stand.
Dort saß er und machte Recherchen zum Fall »Dahlien«, dem er die Fallnummer 243 gegeben hatte.
Er fand im Internet nur Schwarzweißfotos des Gemäldes, denn es war im Jahr neunzehnhundertachtundfünfzig aus einem sehr nachlässig gesicherten französischen Provinzmuseum gestohlen und nie mehr aufgefunden worden. Als einziges Werk mitten aus einer Fantin-Latour-Sonderausstellung. Sein Wert wurde damals mit etwa dreieinhalb Millionen alten Francs angegeben, etwas über vierzigtausend Schweizer Franken.
Carlos verglich die Preise auf den Internetseiten der Auktionshäuser. Die Preise für Fantin-Latour hatten sich in den folgenden Jahren verzehn-, ja verzwanzigfacht.
Im Jahr 2000 ersteigerte ein unbekannter Bieter im Rockefeller Center ein Blumenbouquet des Malers, dessen Schätzwert zwischen zweieinhalb und drei Millionen Dollar lag, für über dreieinhalb Millionen.
Aber die spektakulärste Preisexplosion ereignete sich vor kurzem bei einer Auktion in der Schweizer Niederlassung von Murphy’s: Ein hübscher, aber keineswegs atemberaubender Dahlienstrauß von Fantin-Latour ging für mehr als das Doppelte des Schätzpreises von sechshunderttausend Franken. Zwei anonyme Telefonbieter hatten sich ein gnadenloses Duell geliefert, das erst bei einer Million zweihundertachtzigtausend entschieden wurde. Die
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