Allmen und die Dahlien (German Edition)
Schminktischchen aus spiegelndem Lack und schmalen Nickelbändern.
An den Wänden hingen vier Porträts derselben Frau. Eines sah nach Allmens Gefühl nach Niklaus Stoecklin aus. Eines hätte von Rudolf Schlichter stammen können, eines war unverkennbar ein Meredith Frampton, das vierte konnte er niemandem zuordnen.
»War sie nicht eine Schönheit?«
Allmen nickte, obwohl er sich für ein anderes Wort entschieden hätte. Schönheit war nicht das zutreffende. Nicht bei den Porträtisten, die sie gewählt hatte. Alle vier hatten dem Ausdruck mehr Bedeutung beigemessen als der Ähnlichkeit und das Hauptmerkmal auf Dalia Gutbauers blaue Augen gelegt. Man sah, dass sie eine sehr selbstbewusste und aparte Frau gewesen war. Aber schön? Schön waren vor allem die Werke.
»Madame Gutbauers Vater war ein großer Kunstfreund, und seine Tochter hat diese Leidenschaft von ihm geerbt«, erklärte Frau Talfeld.
Im Zimmer lag der Duft von Parfum und der frischen Bettwäsche des akkurat aufgeschlagenen Bettes. Die Vorhänge – auch sie in einem geometrischen, schwarzweißen Art-déco-Muster – waren zugezogen, der Raum lag im Licht von fünf Bilderspots. Vier waren auf die Porträts gerichtet. Der fünfte erhellte eine leere Stelle an der Wand.
»Hier hingen die Dahlien«, sagte Frau Talfeld unnötigerweise.
»Aber wenn das Bild im Schlafzimmer war, weshalb wurde sein Fehlen nicht sofort bemerkt?«
»Madame Gutbauer schläft meistens in einem anderen Zimmer. Einem etwas zweckmäßigeren mit einem Krankenhausbett, Sie verstehen.«
»Aber das Personal? Hier wird doch bestimmt ab und zu gelüftet, abgestaubt, gesaugt.«
»Das Mädchen, das für dieses Zimmer zuständig ist, hat ihre kranke Mutter in Spanien besucht. Und ihre Vertretung war eine Temporärangestellte.«
Allmen sah sich die Stelle an der Wand an. Der Spot warf keinen Kegel, sondern ein scharf begrenztes Viereck, das sagte: »Hier fehlt ein Bild.«
»Das Bild wurde also während der Abwesenheit des Zimmermädchens und vor dem Arbeitsbeginn seiner Stellvertreterin gestohlen. Sonst wäre ihr das Fehlen des Bildes aufgefallen.«
»An dieser Stelle habe nie ein Bild gehangen, hat sie gesagt.«
»Wissen Sie, welche Zeitspanne das betrifft?«
»Laut Monsieur Louis, der auch für das Hauspersonal zuständig ist, war Carmen am Mittwoch, dem dritten April, morgens zum letzten Mal im Zimmer. Und gestern zum ersten Mal wieder. Am sechsten April sprang die Aushilfe ein.«
»Drei Tage.« Wieder glaubte Allmen, den Anflug eines spöttischen Lächelns um Frau Talfelds schmale Lippen zu entdecken. Als mache sie sich über seine Rechenkünste lustig.
»Falls die Temporärbeschäftigte die Wahrheit sagt. Sonst wären es sieben.«
»Weshalb sollte sie lügen?«
»Vielleicht, weil sie etwas mit dem Verschwinden des Bildes zu tun hat.«
Cheryl Talfeld zog es in Erwägung. Dann schüttelte sie den Kopf. »Zu dumm.«
Als sie zurückkamen, war Dalia Gutbauer eingenickt. Der Kopf war ihr auf die rechte Schulter gefallen, und ihr Mund stand offen. Frau Talfeld komplimentierte Allmen wieder hinaus. »Madame Gutbauer würde so nicht gesehen werden wollen«, flüsterte sie. Sie öffnete die Tür ein zweites Mal, diesmal mit einem lauten »So, da wären wir wieder«.
Über dem Polster ihres Sessels erschien jetzt ein Schopf weißer Haare. Als sie um die Rückenlehne herumgegangen waren, hatte sie ihre blauen Augen weit aufgerissen. »Und?«, fragte sie.
Allmen und Frau Talfeld setzten sich wieder auf ihre Plätze. Die Tassen waren weggeräumt, an ihrer Stelle stand etwas Blätterteiggebäck.
»Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Die alte Dame winkte ungeduldig ab. »Fragen Sie, fragen Sie.«
Allmen zückte wieder sein Notizbuch. »Die erste Frage, die wir routinemäßig stellen, lautet: Weshalb wenden Sie sich nicht an die Polizei?«
»Nächste Frage.«
Allmen sah sie überrascht an.
Cheryl Talfeld schüttelte fast unmerklich den Kopf, und Madame Gutbauer überwand sich: »Aber das fällt unter das Klientengeheimnis: Das Bild ist… Man weiß nicht so genau, woher es stammt.«
»Raubkunst?« Allmen war etwas schockiert.
»Nicht im üblichen Sinn. Cheryl!«
Frau Talfeld übernahm: »Das Bild war ein Geschenk an Madame Gutbauer. Eine kleine Aufmerksamkeit eines Verehrers, wegen der Namensgleichheit, Dalia und Dahlien, Sie verstehen.«
Allmen verstand. »Und Sie vermuten, dass das Bild nicht ganz rechtmäßig erworben sein könnte?«
»Nun, jedenfalls überstieg
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