Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
und 18 Uhr schwelgt die angekratzte Kabine in ihrer wohlverdienten tariflich festgelegten Pause.
Derweil erweist sich unser Lift als durchaus nicht einzigartig. Viele alte Bürgerhäuser im Zentrum sind bis heute mit alten Kolonial-Fahrstühlen ausgerüstet. Mit ihren königlichen Käfigschächten und holzgetäfelten Kabinen wirken sie, als seien sie noch von einer Dampfmaschine angetrieben. Ersatzteile dürfte es schon seit Jahrzehnten nicht mehr geben, und als wolle man noch, so gut es geht, für weitere hundert Jahre einen reibungslosen Betrieb gewährleisten, triefen Seilzug und Aufhängung von schwerem Maschinenöl. Nostalgisch hängt auch der schwere Geruch des Öls und des von Würmern zerfressenen Holzes im Treppenflur.
Neulich kam übrigens unser Bürobote völlig bleich und zitternd zurück, bevor er seinen Auftrag erledigen konnte. Er hatte die Aufzugtüre geöffnet und wollte eintreten, als er merkte, dass keine Kabine da war und er gerade dabei war, seinen Fuß in einen leeren Aufzugschacht zu setzen. Im letzten Moment hielt er sich an der Türe fest, bevor er 13 Stockwerke nach unten stürzte. Wenige Tage darauf brachte die Liftfirma an jedem Stockwerk ein arabisches Warnschild an: „Bitte stellen Sie vor dem Eintreten sicher, dass die Aufzugskabine vorhanden ist.“
In anderen Kairoer Gebäuden geben die Gastgeber ihren Gästen nützliche Tipps für die Fahrt. „Falls das Seil reißt, sofort in die Knie gehen“, lautet etwa ein gut gemeinter Rat. Und zur endgültigen Beruhigung bekommt man, heil oben angekommen, erzählt: „Ein Paar hat in der Hockstellung einen Aufzugabsturz aus dem achten Stock überlebt. Man muss das einfach abfedern.“
Wer in seinem Leben noch nie in einem Fahrstuhl stecken geblieben ist, sollte auf jeden Fall zwecks Erfahrungsbereicherung einen längeren Besuch in der Nilmetropole wagen. Ein Berliner Freund ist gar einmal im hundert Meter hohen Aussichtsturm der Stadt hängen geblieben. Bereits nach wenigen Minuten brach in der Kabine Panik aus, die selbst die Hartgesottensten hemmungslos um Hilfe schreien ließ. Seitdem verweigert sich mein Freund der automatisierten vertikalen Fortbewegungsart.
Aber keine Panik. Alles findet seine Lösung. Wenn in unserem Haus der Strom ausfällt und der Aufzug stecken bleibt (das passiert mindestens zweimal wöchentlich), macht sich der Pförtner auf den Weg und sammelt in den Büros eine Spende für den Elektriker. Diejenigen, die Glück hatten und nicht kurz zuvor noch in den Aufzug gesprungen waren, machen sich geduldig bis zu zwanzig Stockwerke auf den Weg nach oben oder unten, oder gehen ins nächste Café, bis der Elektriker sein Werk beendet hat und es wieder heißt: Freie Fahrt – im Namen Gottes des Barmherzigen und Allmächtigen.
Die Beleidigungs-Agentur
(Kairo, den 12. Juli 1993)
Lautstark ausgetragener Streit, Schimpftiraden, neugierig zusammenströmende Passanten: All das ist ein täglich wiederkehrendes Bild in den Straßen von Kairo, wo das Klima nicht nur im Sommer hitzig ist. Der unbescholtene Beobachter denkt sich nichts weiter dabei und geht nach kurzem Zuhören seines Weges.
Das arabische Tratschblatt Sabah Al-Kheir wusste nun in einer skandalösen Enthüllungsstory von einer Agentur ganz besonderer Art zu berichten: Aufgedeckt wurden die Machenschaften der „Umm Buqqu-Agentur für Prügel und Beleidigungen“ mit Sitz in einem der Slum-Vororte von Kairo.
Das System dieser Geschäftsstelle gestaltet sich relativ einfach. Wer sich mit seinen ärgsten Feinden, Konkurrenten oder Nebenbuhlern nicht selber die Finger schmutzig machen will, der mietet kurzerhand die Crew von Umm Buqqu, zu Deutsch etwa „Mutter der scharfen Zunge“. Sie erledigt das delikate Geschäft für ihren Auftraggeber auf eine möglichst professionelle Weise.
Zu feilschen gibt es dabei nicht viel, Umm Buqqu, eine Fachfrau der Kairoer Unterwelt, weiß, was sie von ihren Kunden verlangen kann. Eine gezielte Schimpfattacke mit den dreckigsten Ausdrücken ist schon für umgerechnet ein Viertel Monatslohn eines Lehrers zu haben. Ein künstlich gestalteter Affront mit einem Grundset an beleidigenden Ausdrücken, einschließlich einer Auswahl von leichten Schlägen gegen eine Frau, kostet schon das Doppelte. Wer einen Mann zurechtweisen will und zusätzlich „Schläge mit den Absätzen von Frauenschuhen auf den Kopf“ bestellt (eine für ägyptische Männer besonders erniedrigende Art der Kränkung), der legt noch einmal das Doppelte drauf.
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