Allwissend
großflächige Brandwunden erlitten und war auf die hiesige Intensivstation gebracht worden. Es folgte eine unglaublich schwere Zeit - für seine verwirrte, besorgte Familie, für Michael O'Neil und für seine Kollegen beim MCSO. Auch für Dance.
Zwei Tage später war Juan tot, und sein verstörter Bruder Julio, der Dance die Schuld daran gab, ging auf sie los. Dance trug durch den Angriff eher einen Schreck als wirkliche Verletzungen davon und beschloss, keine Anzeige zu erstatten.
Zunächst nahmen alle an, Juan sei an seinen schweren Verbrennungen gestorben. Dann jedoch wurde festgestellt, dass jemand ihn von seinem Leid erlöst hatte - durch aktive Sterbehilfe.
Juans Tod machte Dance traurig, aber die Verletzungen des Mannes waren so gravierend gewesen, dass sein restliches Leben aus nichts als Schmerz und endlosen medizinischen Behandlungen bestanden hätte. Auch Dances Mutter Edie, die hier als Krankenschwester arbeitete, war der Fall zu Herzen gegangen. Kathryn wusste noch, wie sie im Wohnzimmer neben ihrer Mutter gestanden und Edie sich ihr anvertraut hatte: Als sie neben Juans Bett stand, war der Mann kurz zu Bewusstsein gekommen und hatte sie flehentlich angestarrt.
Dann hatte er geflüstert: »Tötet mich.«
Wahrscheinlich hatte er diese Bitte gegenüber jeder Person geäußert, die ihn besuchte oder nach ihm sah.
Wenig später hatte jemand ihm den Wunsch erfüllt.
Niemand wusste, wer die Medikamente in die Infusionslösung gemischt hatte, um Juans Leben zu beenden. Der Todesfall galt nun offiziell als Straftat, und das Monterey County Sheriff's Office leitete die Ermittlungen. Allerdings ging man dort nicht besonders hartnäckig zu Werke; mehrere Ärzte hatten ausgesagt, die Lebenserwartung des Deputy habe höchstens noch ein oder zwei Monate betragen. Sein Tod war eindeutig ein Akt der Menschlichkeit, wenn auch gesetzwidrig.
Aber er erwies sich als gefundenes Fressen für alle Gegner der Sterbehilfe. Die Demonstranten, die Dance nun auf dem Parkplatz beobachtete, hielten Bilder von Kreuzen, von Jesus und von Terri Schiavo hoch, der Komapatientin aus Florida, mit deren Fall sogar der amerikanische Kongress befasst gewesen war.
Die Transparente vor dem Monterey Bay Hospital beschworen die Schrecken von Euthanasie und - offenbar weil alle sowieso gerade hier und in der passenden Stimmung waren - Abtreibung. Die meisten der Demonstranten gehörten Life First an, einer Organisation aus Phoenix. Sie waren wenige Tage nach dem Tod des jungen Beamten angereist.
Dance fragte sich, ob auch nur einem von ihnen die Ironie der Situation bewusst war, dass jemand ausgerechnet vor einem Krankenhaus gegen den Tod protestierte. Vermutlich nicht. Diese Leute wirkten nicht so, als hätten sie einen Sinn für Humor.
Dance begrüßte den Leiter des Sicherheitsdienstes, einen hochgewachsenen Afroamerikaner, der vor dem Haupteingang stand. »Guten Morgen, Henry. Wie es aussieht, werden es immer mehr.«
»Guten Morgen, Agent Dance.« Henry Bascomb, ein ehemaliger Cop, mochte es, die Leute mit ihrem Dienstrang anzusprechen. Er lächelte gequält und wies auf die Demonstranten. »Wie die Karnickel.«
»Wer ist der Anführer?«
Inmitten der Menge befand sich ein hagerer Mann mit schütterem Haar und Kehllappen unter dem spitzen Kinn. Er trug das Gewand eines Geistlichen.
»Der Pfarrer, das ist der Chef«, sagte Bascomb. »Reverend R. Samuel Fisk. Er ist ziemlich bekannt. Ist den ganzen weiten Weg aus Arizona hergekommen.«
»R Samuel Fisk. Ein klangvoller Name für einen Gottesmann«, merkte sie an.
Neben dem Reverend stand ein stämmiger Mann mit lockigem rotem Haar und dunklem Anzug. Ein Leibwächter, schätzte Dance.
»Das Leben ist heilig!«, schrie jemand in Richtung eines der Übertragungswagen, die in der Nähe geparkt waren. »Heilig!«, wiederholte die Menge.
»Mörder«, rief Fisk mit einer für eine solche Vogelscheuche überraschend volltönenden Stimme.
Obwohl die Bemerkung nicht an sie gerichtet war, verspürte Dance ein Frösteln und musste an den Zwischenfall auf der Intensivstation denken, als der vor Wut schäumende Julio Millar sie von hinten gepackt hatte, sodass Michael O'Neil und ein anderer Begleiter eingreifen mussten.
»Mörder!«
Die Demonstranten griffen die Parole auf. »Mör-der, Mör-der!« Dance nahm an, dass sie alle im Laufe des Tages heiser werden würden.
»Viel Glück«, wünschte sie dem Sicherheitschef, der zweifelnd die Augen verdrehte.
Drinnen ließ Dance den Blick in
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