Allwissend
für einen tödlichen Unfall nicht ausreicht.«
Seine Frau zuckte die Achseln. »Es waren wahrscheinlich junge Leute. Vielleicht betrunken.«
Das Kreuz rückte alles wieder ins rechte Licht. Komm schon, Kumpel, du könntest jetzt in Portland über deinen Verkaufszahlen schwitzen und dich fragen, welchen Wahnsinn Leo sich als nächste Zielvorgabe ausgedacht hat. Stattdessen bist du hier im schönsten Teil von Kalifornien und hast noch fünf Tage Urlaub vor dir. Das Par von Pebble Beach würdest du in einer Million Jahren nicht schaffen, bei keinem einzigen Loch. Also hör auf zu jammern.
Er legte seiner Frau die Hand auf das Knie und setzte den Weg zum Strand fort. Es störte ihn nicht mal mehr, dass ein Nebel den Morgen plötzlich in einen grauen Schleier gehüllt hatte.
Dance fuhr den Highway 68 entlang, den Holman Highway, und rief ihre Kinder an, die von Kathryns Vater Stuart derzeit ins Tennis- beziehungsweise Musiklager gebracht wurden. Wegen des frühen Treffens im Hotel hatte Dance dafür gesorgt, dass Wes und Maggie - zwölf und zehn - bei ihren Großeltern übernachteten.
»Hallo, Mom!«, sagte Maggie. »Können wir heute Abend bei Rosie's essen?«
»Mal sehen. Ich habe einen wichtigen Fall.«
»Oma und ich haben gestern Abend Spaghetti selbst gemacht. Aus Mehl, Eiern und Wasser. Opa hat gesagt, wir sind echte Pastabäcker. Wieso?«
»Weil ihr eure Nudeln selbst herstellt und sie nicht fertig in der Schachtel kauft.«
»Quatsch, das weiß ich doch. Aber gebacken haben wir sie nicht.«
»Sag nicht >quatsch<. Und ich weiß es nicht. Vielleicht wollte er auf Pizzabäcker anspielen. Frag ihn doch selbst.« »Okay.«
»Bis bald, mein Schatz. Ich hab dich lieb. Und jetzt gib mir bitte deinen Bruder.«
»He, Mom.« Wes hielt ihr einen Monolog über das für heute geplante Tennismatch.
Dance nahm an, dass ihr Sohn unmittelbar an der Schwelle zur Pubertät stand. Manchmal war er noch ihr kleiner Junge, manchmal schon ein distanzierter Teenager. Sein Vater war vor zwei Jahren ums Leben gekommen, und erst jetzt schien Wes die Last dieses Kummers abstreifen zu können. Maggie war zwar jünger, aber belastbarer als er.
»Hat Michael immer noch vor, am Wochenende mit seinem Boot rauszufahren?«
»Bestimmt.«
»Super!« O'Neil hatte den Jungen für nächsten Samstag zum Angeln eingeladen, gemeinsam mit Michaels Sohn Tyler. Seine Frau Anne fuhr so gut wie nie auf dem Boot mit, und wenngleich Dance sich gelegentlich dazu durchrang, machte die Seekrankheit ihr jedes Mal schwer zu schaffen.
Sie sprach nun zum Abschluss noch kurz mit ihrem Vater, bedankte sich für die Betreuung der Kinder und erwähnte, dass der neue Fall recht zeitaufwendig zu werden drohte. Stuart Dance war der perfekte Großvater - der pensionierte Meeresbiologe konnte sich die Zeit frei einteilen und verbrachte sie liebend gern in Gesellschaft seiner Enkel. Und es störte ihn auch nicht, den Chauffeur zu spielen. Er hatte heute zwar ein Treffen im Monterey Bay Aquarium, versicherte seiner Tochter aber, er werde die Kinder am Nachmittag zu ihrer Großmutter bringen. Dance würde sie später von dort abholen.
Wie jeden Tag dankte Kathryn auch heute wieder dem Schicksal oder den Göttern, dass sie von ihrer Familie so liebevoll unterstützt wurde. Sie empfand tiefes Mitgefühl mit allen alleinerziehenden Müttern, die nicht so viel Glück hatten.
Nun wurde sie langsamer, bog an der Ampel ab und fuhr auf den Parkplatz des Monterey Bay Hospital. Hinter einer Reihe hölzerner blauer Absperrungen stand eine Gruppe von Menschen.
Es waren mehr Demonstranten als gestern.
Und gestern waren es bereits mehr als vorgestern gewesen.
Das MBH war eine berühmte Einrichtung, eines der besten medizinischen Zentren der Region und zudem eines der idyllischsten, denn es lag in einem Kiefernwald. Dance kannte das Krankenhaus gut. Sie hatte hier ihre Kinder zur Welt gebracht. Sie hatte hier am Bett ihres Vaters gesessen, als der sich von einer schweren Operation erholen musste. Und sie hatte hier in der Leichenhalle ihren toten Ehemann identifiziert.
Kürzlich war sie hier von jemandem angegriffen worden. Die Protestaktion, die Dance nun sah, stand mit diesem Zwischenfall in Zusammenhang.
Im Zuge des Falls Daniel Pell hatte Dance im Bezirksgericht von Salmas einen jungen Deputy des Sheriff's Office zur Bewachung des Gefangenen geschickt. Pell war es dennoch gelungen, gewaltsam die Flucht zu ergreifen. Der Deputy namens Juan Millar hatte dabei
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