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Allwissend

Allwissend

Titel: Allwissend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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seine Hand. Sie war dunkler, Sie wissen schon. Nicht schwarz. Aber er war eindeutig kein Weißer.«
    »Wie groß war er?«
    »Nicht besonders. Höchstens eins siebzig. Aber unheimlich kräftig. Ach, noch etwas. Ich glaube, letzte Nacht habe ich gesagt, es sei nur ein Täter gewesen. Aber heute Morgen ist es mir wieder eingefallen. Es waren zwei.«
    »Sie haben zwei gesehen?«
    »Nein, ich konnte eher spüren, dass da noch jemand war. Wissen Sie, wie das ist?«
    »Könnte es eine Frau gewesen sein?«
    »Oh, ja, möglicherweise. Keine Ahnung. Wie ich schon sagte, ich war ziemlich durcheinander.«
    »Hat jemand Sie angefasst?«
    »Nein, jedenfalls nicht auf diese Weise. Nur um mich zu fesseln und in den Kofferraum zu werfen.« Ihre Augen blitzten zornig auf.
    »Erinnern Sie sich noch an Einzelheiten der Fahrt?« »Nein, ich hatte zu viel Angst. Ich glaube, ich habe etwas klirren gehört, vorne im Wagen.« »Nicht im Kofferraum?«
    »Nein. Wie Metall oder so. Dachte ich zumindest. Er hat es in den Wagen gelegt, nachdem er mich in den Kofferraum gesperrt hatte. Ich hab diesen Film gesehen, einen der S/W-Filme. Und ich dachte, vielleicht würde er was auch immer das war benutzen, um mich zu foltern.«
    Das Fahrrad, dachte Dance, denn ihr fielen die Spuren am Strand wieder ein. Er hatte sich ein Fahrrad für die Flucht mitgenommen. Sie fragte Tammy danach, aber die verneinte; ein Fahrrad hätte auf keinen Fall auf die Rückbank gepasst. »Und es hat sich auch nicht nach einem Fahrrad angehört«, fügte sie ernst hinzu.
    »Okay, Tammy.« Dance rückte sich die Brille zurecht und sah unverwandt das Mädchen an, das einen kurzen Blick auf die Blumen, Karten und Stofftiere warf. »Schauen Sie nur, all die Geschenke«, sagte Tammy. »Dieser Bär da, ist der nicht klasse?«
    »Ja, er ist niedlich... Sie glauben also, es waren irgendwelche Latinos aus einer Bande.«
    »Ja. Aber... na ja, Sie wissen schon, nun ist ja zum Glück alles vorbei.«
    »Vorbei?«
    »Ich meine, ich bin nicht ermordet worden. Nur ein wenig durchgeweicht.« Sie lachte auf und wich Dances Blick aus. »Die Kerle haben jetzt bestimmt eine Heidenangst. Die Nachrichten sind ja voll von dem Fall. Ich wette, die sind untergetaucht. Womöglich sogar aus der Stadt verschwunden.«
    Es traf durchaus zu, dass Banden Aufnahmerituale hatten. Und bisweilen ging es dabei um Mord. Aber die Opfer gehörten nur selten nicht der Rasse oder Volksgruppe des Täters an und waren fast immer Mitglieder einer rivalisierenden Gang oder Informanten. Überdies war das Verbrechen an Tammy viel zu umständlich. Kathryn wusste aus früheren Fällen, dass bei Bandenverbrechen Effizienz an oberster Stelle stand; Zeit ist Geld, und je weniger davon für außerplanmäßige Aktivitäten verwendet wurde, desto besser.
    Dance war bereits zu dem Schluss gekommen, dass das Mädchen seinen Angreifer keineswegs für den Angehörigen einer Latino-Gang hielt. Genauso wenig glaubte Tammy, dass es zwei Täter gegeben hatte.
    Sie wusste eindeutig mehr, als sie sagte.
    Es war an der Zeit, zur Wahrheit vorzudringen.
    Zur kinesischen Analyse eines Gesprächspartners oder Verdächtigen ist es zunächst erforderlich, sich einen grundlegenden Eindruck davon zu verschaffen, welches Verhalten die betreffende Person bei wahrheitsgemäßen Aussagen an den Tag legt: Wo behält sie ihre Hände, wohin schaut sie wie oft, räuspert sie sich oder schluckt sie häufig, sind ihre Äußerungen von lauter »Ähs« durchsetzt, wippt sie mit dem Fuß, sitzt sie schief oder vornübergebeugt da, zögert sie vor einer Antwort?
    Sobald der Kinesik-Experte auf diese Weise eine Norm festgelegt hat, wird es ihm auffallen, wenn sein Gegenüber bei der Antwort auf eine potenziell heikle Frage vom üblichen Verhalten abweicht. Wenn Leute lügen, verspüren sie Stress und Angst und versuchen, diese unangenehmen Empfindungen mit Gesten oder Sprachmustern zu lindern, die sich vom herkömmlichen Standard unterscheiden. Eines von Dances Lieblingszitaten stammte von einem Mann, der hundert Jahre vor der Prägung des Begriffs »Kinesik« gelebt hatte: Charles Darwin. Er hatte gesagt: »Unterdrückte Gefühle kommen fast immer in Form irgendeiner Körperbewegung an die Oberfläche.«
    Als es um die Identität des Angreifers gegangen war, hatte Dance beobachtet, dass die Körpersprache des Mädchens von der Norm abwich: Tammy verlagerte unbehaglich ihre Hüften, und ein Fuß zuckte. Die Arme und Hände hat ein Lügner noch recht mühelos unter

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