Allwissend
verzog das Gesicht. »Mit Gurt wäre ihnen nichts passiert.«
»Sein Vater müsste gleich hier sein«, versicherte Sonia ein weiteres Mal.
»Wir haben nur ein paar Fragen«, sagte O'Neil. Dann verzog er sich in eine Ecke des Wohnzimmers und überließ Dance die Gesprächsführung.
»In welcher Klasse sind Sie?«, fragte sie.
»Ich hab gerade mein drittes Jahr an der Highschool abgeschlossen.«
»An der Robert Louis Stevenson, richtig?«
»Ja.«
»Was sind Ihre Lieblingsfächer?«
»Keine Ahnung, das Übliche. Ich mag Informatik und Mathe. Spanisch. Einfach das, was alle belegen, Sie wissen schon.« »Und wie ist die Stevenson?«
»Ganz okay. Besser als die Monterey Public oder Junipero.« Er antwortete bereitwillig und sah ihr direkt in die Augen.
An der Junipero Serra School waren Schuluniformen vorgeschrieben. Dance nahm an, dass dieser Umstand noch verhasster war als die strengen Jesuitenpater und die umfangreichen Hausaufgaben.
»Was ist mit Banden?«
»Er ist in keiner Gang«, sagte seine Mutter. Fast als würde sie sich wünschen, er wäre es.
Keiner von ihnen ging darauf ein.
»Es gibt keine Probleme«, entgegnete Travis. »Sie lassen uns in Ruhe. Nicht wie in Salmas.«
Es ging Dance nicht ums Plaudern. Der Zweck dieser harmlosen Fragen war, sich einen grundlegenden Eindruck vom Verhalten des Jungen zu verschaffen. Nach einigen Minuten konnte sie einschätzen, wie er bei wahrheitsgemäßen Antworten reagierte. Nun war sie bereit, auf den Überfall zu sprechen zu kommen.
»Travis, Sie kennen Tammy Foster, nicht wahr?«
»Das Mädchen im Kofferraum. Es kam in den Nachrichten. Sie geht zwar auf die Stevenson, aber sie und ich reden nicht miteinander oder so. Kann sein, dass wir im ersten Jahr einen Kurs zusammen hatten.« Dann sah er Dance wieder direkt in die Augen. Seine Hand fuhr gelegentlich über sein Gesicht, aber Dance war sich nicht sicher, ob es sich dabei um eine abblockende Geste handelte, die auf eine Täuschung hingedeutet hätte, oder ob er sich für seine Akne schämte. »Sie hat im Chilton Report irgendwelches Zeug über mich gepostet, aber das stimmte nicht.«
»Was hat sie denn behauptet?«, fragte Dance, obwohl sie sich noch gut daran erinnerte; Travis hatte angeblich versucht, nach dem Cheerleader-Training Fotos vom Umkleideraum der Mädchen zu schießen.
Der Junge zögerte, als fragte er sich, ob sie versuchte, ihn in eine Falle zu locken. »Sie hat gesagt, ich würde sie heimlich fotografieren. Sie wissen schon, die Mädchen.« Sein Gesicht lief dunkelrot an. »Aber ich hab bloß mit jemandem telefoniert.«
»Also wirklich«, ging seine Mutter dazwischen. »Bob muss jeden Moment zu Hause sein. Ich möchte lieber warten.«
Doch Dance wollte unbedingt weitermachen. Sonias verzweifelter Versuch, den Ehemann entscheiden zu lassen, konnte nur eines bedeuten: dass er das Gespräch umgehend unterbinden würde.
»Wird Tammy wieder gesund?«, fragte Travis.
»Es sieht danach aus.«
Er schaute zu dem verschrammten Couchtisch, auf dem ein geleerter, aber nicht gesäuberter Aschenbecher stand. Dance konnte sich nicht entsinnen, in den letzten Jahren ein Wohnzimmer mit Aschenbecher gesehen zu haben.
»Glauben Sie, dass ich es gewesen bin? Dass ich versucht habe, ihr wehzutun?« Seine dunklen, tiefliegenden Augen unter den dichten Brauen hielten ihr mühelos stand.
»Nein. Wir reden einfach nur mit jedem, der Informationen über die Situation haben könnte.«
»Situation?«, fragte er.
»Wo waren Sie letzte Nacht? Zwischen elf und eins?«
Er strich sich über die Haare. »Ich bin ab ungefähr halb elf im Game Shed gewesen.« »Was ist das?«
»Dieser Laden mit Videospielen. Ähnlich wie eine Spielhalle. Ich bin oft dort. Wissen Sie, wo das ist? Neben dem großen Copyshop. Da stand früher mal ein Kino, aber dann wurde es abgerissen, und man hat das jetzige Haus gebaut. Der Internetanschluss dort ist nicht der Schnellste, aber kein anderer Laden hat abends so lange geöffnet.«
Seine plötzliche Weitschweifigkeit entging Dance nicht. »Waren Sie allein?«, fragte sie.
»Es waren noch andere Kids da. Aber ich hab allein gespielt.«
»Ich dachte, du warst hier«, sagte Sonia.
Ein Achselzucken. »War ich ja auch zuerst. Aber dann bin ich noch mal weggegangen. Ich konnte nicht schlafen.«
»Sind Sie im Game Shed online gewesen?«, fragte Dance.
»Nein. Ich hab geflippert, kein RPG gespielt.«
»Kein was?«
»Kein Role-playing Game, kein Rollenspiel. Für Shooter, Flipper
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