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Allwissend

Allwissend

Titel: Allwissend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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nichts.«
    »Und Ihr Mann?« Dance war nicht entgangen, dass Sonia nur von sich selbst gesprochen hatte. »War er hier im Haus?«
    »Er spielt oft Poker. Ich glaube, gestern auch.«
    »Wir müssen wirklich...«, setzte O'Neil an, hielt aber abrupt inne, als neben dem Bungalow mit großen Schritten ein hochgewachsener, schlanker Halbwüchsiger zum Vorschein kam. Er war von kräftiger Statur, mit ausgeblichener, einst schwarzer und nun stellenweise grauer Jeans und einer olivgrünen Tarnjacke über einem schwarzen Sweatshirt. Es hatte keine Kapuze, bemerkte Dance. Der Junge blieb schlagartig stehen und sah die Besucher überrascht an. Dann warf er einen kurzen Blick auf den zivilen MCSO-Wagen, den jeder, der in den letzten zehn Jahren eine Polizeiserie im Fernsehen verfolgt hatte, sofort als das erkennen würde, was er war.
    Dance las an der Körperhaltung und Miene des Jungen die typische Reaktion von jemandem ab, der unerwartet die Polizei vor sich sieht, ob er nun schuldig oder unschuldig ist: Vorsicht... und hektisches Nachdenken.
    »Travis, Schatz, komm her zu mir.«
    Er blieb, wo er war, und Dance spürte, dass O'Neil sich anspannte.
    Doch es war keine zweite Verfolgungsjagd nötig. Der Junge schlurfte ausdruckslos zu ihnen.
    »Das hier sind Polizeibeamte«, sagte seine Mutter. »Sie möchten mit dir reden.«
    »Dachte ich mir schon. Worüber?« Er klang zwanglos, freundlich. Seine langen Arme hingen gerade herab. Die Hände und Fingernägel waren schmutzig. Sein Haar hingegen schien kürzlich gewaschen worden zu sein; Dance nahm an, dass er das häufig tat, um der Ausbreitung seiner Akne entgegenzuwirken.
    Sie und O'Neil begrüßten den Jungen und zückten ihre Ausweise. Er nahm sie genau in Augenschein.
    Will er Zeit schinden?, fragte Dance sich.
    »Es war noch jemand anders hier«, sagte Sonia zu ihrem Sohn. Sie nickte in Richtung des Graffito. »Es ist wieder mal eine Scheibe zu Bruch gegangen.«
    Travis nahm das ungerührt zur Kenntnis. »Und Sammy?«, fragte er.
    »Er hat nichts davon mitbekommen.«
    »Können wir hineingehen?«, bat O'Neil.
    Der Junge zuckte die Achseln, und sie betraten das Haus, das nach Schimmel und Zigarettenrauch roch. Es war ordentlich, aber schmutzig. Das zusammengewürfelte Mobiliar schien aus zweiter Hand zu stammen, die Schonbezüge waren abgewetzt, und von den Stuhlbeinen blätterte der Firnis ab. An den Wänden hingen verblasste, zumeist nicht selbst aufgenommene Fotos. Unter dem Rahmen einer Ansicht von Venedig sah Dance ein Zeitschriftenlogo hervorragen. National Geographie. Einige wenige Bilder zeigten die Familie. Die beiden Söhne und ein- oder zweimal auch Sonia in jüngeren Jahren.
    Sammy tauchte auf, genau wie zuvor, massig, flink, lächelnd.
    »Travis!« Er lief zu seinem Bruder. »Hast du mir was mitgebracht?«
    »Hier.« Travis griff in die Tasche und gab dem Jungen eine Tüte M&Ms.
    »Ja!« Sammy öffnete die Tüte behutsam und schaute hinein. Dann sah er seinen Bruder an. »Am Teich war es heute schön.« »Wirklich?«
    »Ja.« Sammy kehrte in sein Zimmer zurück, die Süßigkeiten fest umschlossen.
    »Er sieht nicht gut aus«, sagte Travis. »Hat er seine Tabletten genommen?«
    Seine Mutter wandte den Kopf ab. »Es...«
    »Dad hat kein neues Rezept ausstellen lassen, weil sie teurer geworden sind. Nicht wahr?«
    »Er glaubt sowieso nicht, dass sie viel nützen.«
    »Sie nützen jede Menge, Mom. Du weißt doch, wie er wird, wenn er sie nicht einnimmt.«
    Dance warf einen Blick in Sammys Zimmer und sah, dass sein Schreibtisch mit komplizierten elektronischen Bauteilen, Computerzubehör und Werkzeugen bedeckt war - und mit Spielzeug für deutlich jüngere Kinder. Der Junge saß in krummer Haltung auf einem Sessel und las ein japanisches Comicheft. Er hob den Kopf und starrte Dance eindringlich und forschend an. Dann lächelte er matt und nickte in Richtung des Comics. Dance erwiderte das Lächeln, auch wenn ihr seine Geste rätselhaft blieb. Er las weiter. Seine Lippen bewegten sich.
    Auf einem Tisch im Flur stand ein Korb voller Wäsche. Dance berührte O'Neil am Arm und wies auf ein graues Sweatshirt, das oben auf dem Haufen lag. Es hatte eine Kapuze.
    O'Neil nickte.
    »Wie geht es Ihnen seit dem Unfall?«, wandte Dance sich an Travis.
    »Ganz gut eigentlich.«
    »Es muss schrecklich gewesen sein.«
    »Ja.«
    »Aber Sie wurden nicht ernstlich verletzt?«
    »Nein, kaum. Der Airbag, Sie wissen schon. Und ich bin nicht besonders schnell gefahren... Trish und Van.« Er

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