Allwissend
waren Sirenen zu hören. Sie kamen näher; das musste die Verstärkung sein. O'Neil verringerte sein Tempo und lauschte angestrengt. Die Büsche in seiner Nähe raschelten. Oder auch nicht.
Es war aus noch einem anderen Grund leichtsinnig gewesen: Travis kannte die Gegend genau. Es handelte sich ja quasi um seinen Hinterhof. Er würde wissen, wo er sich verstecken und auf welchen Pfaden er fliehen konnte.
O'Neil hielt nach dem Angreifer Ausschau; die Waffe, die fast in seiner großen Hand verschwand, schwang hin und her.
Hektisch.
Er ging einige Meter weiter. Nun musste er es riskieren, seinen Standort zu verraten. »Kathryn?«, rief er flüsternd. Nichts.
Lauter: »Kathryn?«
Der Wind führ durch das Laub.
Dann: »Michael, hier!« Ein ersticktes Geräusch. Ganz aus der Nähe. Er lief los. Dann sah er sie auf Händen und Knien ein Stück voraus auf einem Pfad. Mit gesenktem Kopf. Er hörte sie keuchen. War sie verletzt? Hatte Travis sie mit einem Rohr niedergeschlagen? Auf sie eingestochen?
O'Neil musste gegen den überwältigenden Drang ankämpfen, sich um Dance zu kümmern und das Ausmaß ihrer Verletzungen zu bestimmen. Er wusste, was zu tun war. Er lief zu ihr, blieb stehen, drehte sich mit ausgestreckter Waffe um die eigene Achse und suchte nach einem Ziel.
Schließlich sah er in einiger Entfernung Travis' Rücken im Unterholz verschwinden.
»Er ist weg«, sagte Dance, zog ihre Waffe aus einem Gebüsch und stand auf. »In die Richtung da.«
»Hast du was abbekommen?«
»Nur ein paar blaue Flecke.«
Sie schien tatsächlich unversehrt zu sein, aber sie klopfte sich den Staub auf eine Weise von der Kleidung, die ihn beunruhigte. Sie war sichtlich mitgenommen und desorientiert. Er konnte es ihr nicht verdenken, aber es sah ihr nicht ähnlich. Kathryn Dance war ihm stets ein verlässlicher Rückhalt gewesen, ein Standard, an dem er das eigene Verhalten maß. Ihre Gesten riefen ihm nun ins Gedächtnis, dass sie beide sich hier nicht in ihrem Element befanden und dass es bei diesem Fall nicht um einen typischen Bandenmord oder um irgendwelche Waffenschmuggler ging, die mit ihrer verbotenen Ware den 101 unsicher machten. »Was ist passiert?«, fragte er.
»Er hat mich zu Fall gebracht und ist geflohen. Michael, das war nicht Travis.« »Wie bitte?«
»Ich konnte ihn kurz aus der Nähe sehen. Er war blond.« Dance entdeckte einen Riss in ihrem Rock und verzog das Gesicht. Dann ließ sie die Kleidung sein und fing an, den Boden abzusuchen. »Er hat etwas verloren... Ah, da.« Sie hob es auf. Eine Farbsprühdose.
»Was hat das alles zu bedeuten?«, grübelte O'Neil laut.
Sie steckte ihre Waffe in das Holster an ihrer Hüfte und machte sich auf den Rückweg zum Haus. »Lass es uns herausfinden.«
Sie trafen gleichzeitig mit der Verstärkung am Haus der Brighams ein - zwei Wagen der Stadtpolizei von Pacific Grove. Dance, die schon lange hier wohnte, kannte die Beamten und winkte ihnen zum Gruß zu.
Die Männer gesellten sich zu ihr und O'Neil. »Alles in Ordnung, Kathryn?«, fragte einer der Cops, dem ihr zerzaustes Haar und der verschmutzte Rock auffielen.
»Ja, mir geht's gut.« Sie berichtete ihnen von dem Angriff und der Verfolgung. Einer der Beamten meldete den Vorfall über das Funkgerät an seiner Schulter weiter.
Dance und O'Neil hatten kaum das Haus erreicht, als hinter der Fliegengittertür eine weibliche Stimme erklang. »Haben Sie ihn erwischt?« Die Tür ging auf, und eine dicke Frau mit einem Mondgesicht trat heraus auf die Veranda. Dance schätzte sie auf Mitte vierzig. Sie trug schmerzhaft enge Jeans und eine weite graue Bluse mit einem Dreieck aus Flecken auf dem Bauch. Ihre cremefarbenen verschrammten Pumps waren unter dem Gewicht der Frau hoffnungslos aus der Form geraten. Und wohl noch nie geputzt worden.
Dance und O'Neil zeigten ihre Dienstausweise vor. Die Frau war Sonia Brigham, Travis' Mutter.
»Haben Sie ihn erwischt?«, hakte sie noch einmal nach.
»Wissen Sie, wer das war und wieso er uns angegriffen hat?«
»Er hat nicht Sie angegriffen«, sagte Sonia. »Er hat Sie wahrscheinlich nicht mal gesehen. Er wollte die Fenster treffen. Drei hat man uns schon eingeworfen.«
»Bei den Brighams sind in letzter Zeit mehrere Fälle von mutwilliger Sachbeschädigung aufgetreten«, erklärte einer der Beamten aus Pacific Grove.
»Sie sagen >er<«, stellte Dance fest. »Wissen Sie, wer er ist?«
»Nein, nicht genau. Es ist eine ganze Horde.«
»Horde?«, fragte O'Neil.
»Die
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