Allwissend
genau wie Strickland, der sich in Gesprächen mit einem potenziellen neuen Mandanten befand - einer Umweltschutzgruppe, die das Projekt zu Fall bringen wollte. Erst kürzlich hatte er sich in Chiltons Blog positiv zu dessen Artikel geäußert.
Strickland lief nun den kleinen Hügel hinauf, der den beschwerlichsten Teil seiner Runde darstellte. Danach ging es nur noch bergab. Er schwitzte, sein Herz schlug schnell... und das vertraute Glücksgefühl stellte sich ein.
Als er den Hügelkamm erreichte, fiel ihm etwas ins Auge. Ein roter Fleck abseits des Joggingpfades und eine verschwommene Bewegung auf Bodenhöhe. Was war das?, fragte er sich. Er machte kehrt, hielt seine Stoppuhr an und ging langsam zwischen den Felsen hindurch zu der Stelle, an der irgendetwas leuchtend Rotes lag, das hier in dieser sandigen Gegend zwischen all den braunen und grünen Pflanzen eindeutig fehl am Platz war.
Sein Herz raste auch weiterhin, doch nun aus Angst, nicht vor Anstrengung. Er musste sofort an Travis Brigham denken. Aber der Junge ging nur auf die los, die ihn online angegriffen hatten. Strickland hatte sich überhaupt nicht zu ihm geäußert.
Bleib locker.
Trotzdem nahm er sein Mobiltelefon aus der Tasche und machte sich bereit, den Notruf zu wählen, falls es bedrohlich wurde.
Er kniff die Augen zusammen und sah nach unten, als er sich der kleinen Freifläche näherte. Was war das bloß? »Scheiße«, murmelte er und erstarrte.
Auf dem Boden lagen Fleischbrocken inmitten zahlreicher Rosenblätter. Drei riesige hässliche Vögel - Geier, schätzte er rissen die Stücke hektisch und gierig auseinander. Strickland sah auch einen blutigen Knochen. Mehrere Krähen hüpften vorsichtig näher, zupften etwas Fleisch ab und zogen sich wieder zurück.
Strickland beugte sich vor. Da bemerkte er noch etwas anderes.
Nein! ... Jemand hatte dort ein Kreuz in den Sandboden gescharrt.
Er begriff, dass Travis Brigham hier irgendwo lauern musste. Zitternd ließ der Anwalt den Blick über die umliegenden Büsche, Bäume und Dünen schweifen. Der Kerl konnte überall stecken. Und plötzlich spielte es gar keine Rolle mehr, dass Lyndon Strickland nie etwas über den Jungen gepostet hatte.
Er sah wieder diese schreckliche Maske vor sich, die der Junge als Symbol seines Überfalls am Tatort zurückgelassen hatte. Strickland fuhr herum und rannte zurück zum Pfad.
Schon nach wenigen Schritten hörte er jemanden aus dem Gebüsch hervorbrechen und schnell in seine Richtung laufen.
Kapitel 19
Jon Boling saß in Dances Büro auf der durchhängenden Couch. Die Ärmel seines dunkelblau gestreiften Hemdes waren hochgekrempelt, und ihm standen ausgedruckte Texte aus Chiltons Blog sowie zwei Telefone gleichzeitig zur Verfügung. Er arbeitete daran, anhand der von der Hosting-Firma gelieferten IP-Adressen die Hausanschriften der Besitzer zu ermitteln.
Im Augenblick hatte er einen Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, notierte sich etwas und rief: »Wir haben noch jemanden. SexyGurl ist Kimberly Rankin, eins-zwei-acht Forest, Pacific Grove.«
Dance schrieb sich die Angaben auf und rief dort an, um das Mädchen - und dessen Eltern - vor der Gefahr zu warnen und offen darauf zu bestehen, dass die junge Frau nicht mehr im Report posten und auch all ihre Freunde davon abhalten würde.
Na, Chilton, was sagst du jetzt?
Boling musterte den Computerbildschirm vor sich. Dance sah, dass er die Stirn runzelte. »Was ist?«, fragte sie.
»Die ersten Postings im Thread >Kreuze am Straßenrand< kamen überwiegend hier aus der Gegend, von Klassenkameraden und Leuten auf der Halbinsel. Inzwischen melden sich immer mehr Poster aus dem ganzen Land - nein, sogar aus der ganzen Welt - zu Wort. Die ziehen wirklich über ihn her - und auch über die Highway Patrol und die Polizei, weil sie den Unfall angeblich nicht untersucht haben. Das CBI bekommt ebenfalls sein Fett ab.«
»Wir?«
»Ja. Jemand hat geschrieben, ein CBI-Agent habe Travis zu Hause befragt, ihn aber nicht verhaftet.«
»Woher wissen die überhaupt, dass Michael und ich da waren?«
Er deutete auf den Computer. »Das liegt nun mal in der Natur der Sache. Informationen verbreiten sich. Leute aus Warschau, Buenos Aires, Neuseeland.«
Dance widmete sich wieder dem Bericht der Spurensicherung über das zuletzt aufgefundene Kreuz. Es hatte an einer ruhigen Straße gestanden, in einer dünn besiedelten Gegend im Norden von Monterey. Keine Zeugen. Und kaum Spuren am Tatort, abgesehen von
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