Alma Mater
Ich würde in Gesellschaft von anderen Lehrern sein. Ich meine, die Leute würden wenigstens lesen.« Sie verstummte.
»Bist du sicher, daß du das Kind willst?«
»Absolut sicher. Ich wünschte nur, es würde dir ähnlich sehen.«
»Okay. Du wirst das Kind kriegen.«
»Was würdest du tun, wenn du an meiner Stelle wärst?«
»Schwanger?«
»Ja.«
»Ich weiß es nicht.« Vic rang mit sich. »Ich kann den Fall von beiden Seiten sehen.«
»Es geht um keinen Fall. Es geht um deinen Körper, deine Zukunft, um jemand anderes Zukunft.«
»Du hast Recht. Ich möchte hoffen, daß ich mich freuen würde. Es geht einfach darum, es in den Griff zu kriegen mitsamt Geld und den praktischen Dingen. Ich möchte hoffen, daß ich so stark wäre wie du.«
»So stark bin ich gar nicht. Was du von den Panzern gesagt hast, ist wahr. Wir sind nicht in Lebensgefahr, aber, aber ich werde kein Kind mehr sein, wenn das Baby kommt. Verstehst du? Ich mußte immer nur an mich selbst denken, jetzt muß ich erwachsen werden. Ich bringe ein neues Leben auf die Welt.«
Vic lächelte. »Das macht die Jungfrau Maria. Du würdest diese Einstellung vermutlich nicht haben, wenn du nicht kostbare Zeit mit der heiligen Jungfrau Maria verbracht hättest.«
»Vic.« Chris verdrehte die Augen und lachte.
Sie waren froh, lachen zu können. Es brachte sie einander noch näher, vertrieb die Bedrücktheit.
»Wenn du tapfer sein kannst, sollte ich es auch sein. Ich schiebe immer alles vor mir her. Das nenne ich dann gern meine Möglichkeiten ausloten. Ich halte an dieser Tankstelle. Wir brauchen sowieso Benzin. Ich ruf Charly an, hoffentlich ist er zu Hause. Und wenn du einverstanden bist, sollten wir ihm sagen, was los ist. Das betrifft ihn auch. Wenn ich warte, mache ich womöglich einen Rückzieher.«
Chris schloß einen Moment die Augen. »Gut. Rufen wir ihn an.«
An der alten, aber sauberen Texaco-Tankstelle gab es eine Telefonzelle. Vic rief Charly an, während Chris Benzin einfüllte.
»Charly, gut, daß du zu Hause bist.«
»Hey, was gibt’s? Ich bin heute Abend im Einsatz, aber ich dachte, daß ich morgen mal rüberkomme. Mom hat das Haus für den Lichterumzug angemeldet.«
Vic sah auf die Uhr. »Kannst du für kurze Zeit weg? Wir könnten uns, hm, irgendwo treffen, egal wo.«
»Komm her.«
»Ah, ich hab Chris bei mir.«
»Ich dachte, sie ist bei ihren Eltern.«
»War sie auch. Wir möchten dich beide treffen, aber bei euch zu Hause ist es vielleicht nicht so günstig.«
Nach kurzem Schweigen schlug er vor: »Die episkopalische Kirche. Du weißt, wo sie ist, und sie ist immer offen.« Er schwieg einen Moment. »Geht’s dir gut?«
»Jaja. Wir können in einer halben Stunde da sein.«
»Okay.« Der weiße Schindelbau aus der Zeit vor dem Unabhängigkeitskrieg besaß jene Stabilität und Schlichtheit, die vonnöten waren, um den Pfarrkindern über die Jahrhunderte hinweg Kraft zu geben.
Die drei jungen Leute begrüßten sich, dann öffnete Charly die schimmernde schwarze Tür, und sie betraten die ungeheizte Kirche. Das Winterlicht drang durch die hohen, hellen Fenster. Sie setzten sich in eine hintere Bank.
»Das muß ja ungeheuer wichtig sein.« Charly nahm ein Gesangbuch von seinem Platz.
»Ist es auch.« Vic überlegte, wie sie sagen konnte, was sie zu sagen hatte. »Ich habe dich nie angelogen, Charly, aber ich war auch nicht ehrlich. Ich denke immerzu, ich werde die rechte Zeit oder den rechten Ort schon noch finden.«
Sein Gesicht blieb reglos, während er gegen seine Angst ankämpfte. »Dies ist ein sehr guter Ort.«
»Mir scheint, für uns drei spielen Kirchen bei wichtigen Dingen eine Rolle.« Sie lächelte traurig. »Ich liebe dich. Du bist ein ganz besonderer Mensch, aber… ich kann dich nicht heiraten.« Sie legte die rechte Hand auf ihren linken Ringfinger.
Er langte hinüber und hinderte sie daran, den Ring vom Finger zu ziehen. »Nicht.«
»Es mag dir unsensibel vorkommen, Chris dabeizuhaben, aber du mußt wissen, sie ist Teil davon. Wir stecken alle zusammen drin, ich denke, so läßt es sich am besten ausdrücken.«
Charly sah von Vic zu Chris und wieder zurück. »Ich kann dir nicht folgen.«
Vic atmete tief ein. »Ich liebe Chris. Ich kann dich nicht heiraten.«
Schmerzliche Verzweiflung durchfuhr Charly. »Aber du liebst mich. Ich weiß, daß du mich liebst.«
»Ja, Charly, aber es ist
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