Alma Mater
was war. Darauf bin ich zu Hause zu meiner Ärztin gegangen, die ich sehr schätze. Und ja, ich bin schwanger.«
»Ich bin zu jung, um Vater zu werden.« Vic nahm Chris’ Hand.
Chris lächelte matt. »Wenn du nur der Vater wärst, Vic, wenn du’s nur wärst.«
»Möchtest du das Baby?«
Chris drückte Vics Hand. »So würde ich das nicht ausdrücken. Ich möchte keine Abtreibung. Das kann ich nicht, Vic, ich kann’s einfach nicht.«
»Okay, okay. Ich wollte das gar nicht vorschlagen. War bloß ’ne Frage. Ist ja nicht mein Körper. Ich kann das nicht entscheiden.«
»Würdest du mich heiraten, wenn du könntest?«
»Das weißt du doch. Herrje, wir haben jetzt eine Menge Entscheidungen zu treffen. Du kannst dieses Jahr auf dem College zu Ende machen, aber ich weiß nicht, wie du mit einem Baby durch dein Abschlußjahr kommen kannst.«
»Ich mach den Abschluß später.« Ein trauriges Schweigen folgte. »Weißt du von Kindern, die von zwei Frauen aufgezogen werden?«
»Meinst du ein Liebespaar?«
»Ja.«
»Nein, aber woher soll ich das wissen? Solche Sachen erzählen einem die Leute nicht.« Vic drückte Chris’ Hand, bis sie für eine Kurve beide Hände am Steuer brauchte.
»Meine Eltern bringen mich um.« Tränen traten Chris in die Augen, dann hob sie leicht den Kopf. »Weißt du was? Es ist mir vollkommen schnuppe, was sie denken. Meine Mutter will alles perfekt haben, und das kriegt sie nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich’s ihr überhaupt erzählen werde. Ich geh nicht zurück.«
»Wir müssen es meiner Mutter sagen.« Vic bremste leicht vor der Kurve.
»Das hat noch Zeit. Es ist vorerst nicht zu sehen, und ich geh noch aufs College.« In Chris’ Miene deutete sich Panik an. »Ich werde nicht unterrichten können.«
»Warum nicht?«
»Erstens werde ich ein uneheliches Kind haben. Und früher oder später werden die Leute rauskriegen, daß ich lesbisch bin. Verdammter Mist!«
»Und wenn du einen Mann heiraten würdest? Einen, den du kennst?«
»Vic, wen?«
Vic hob die Schultern. »Keine Ahnung.«
»Charly? Also das wird nicht gehn, weil er ja dich heiraten will. Einen Schwulen?« Chris drehte sich zur Seite und sah Vic an. »Das mach ich nicht. Nichts davon.«
»Okay.«
»Möchtest du denn, daß ich so was mache?«
»Nein. Ich hab bloß an deinen Lehrberuf gedacht, weiter nichts.«
In diesem Moment bemerkte Chris, von Gefühlen übermannt, den Diamanten an Vics Finger. »Vic.« Sie zeigte auf den funkelnden Ring.
»Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Ich hab ihn hingehalten. Ich wollte ihm den Ring umgehend zurückgeben, aber er hat gesagt, er will, daß ich ihn behalte, so oder so.«
Chris sank in sich zusammen. »Oh, heirate ihn, Vic. Dein Leben wird so viel leichter sein.«
Vic fuhr an den Straßenrand. »Hör mal, ich weiß nicht, was wir tun sollen. Ich bin schließlich noch nie lesbisch gewesen. Ich habe vorher noch nie geliebt, und jetzt werde ich, ich werde Vater, Mutter – gibt’s einen Namen dafür? Ich weiß nicht, was wir tun sollen, aber Gefühlsduseleien bringen uns nicht weiter. Mir ist damit auch nicht geholfen. Also hör auf damit. Ich werde Charly nicht heiraten. Wir kriegen das schon irgendwie hin. Herrje, es ist ja nicht das Ende der Welt.« Sie legte ihre Hand in Chris’ Nacken, zog sie an sich und gab ihr einen dicken Kuß.
Hinterher mußte Chris nach Luft schnappen. »Du hast Recht. Ich hab bloß… ich hab Angst.«
»Ich auch. Aber immerhin rollt keine deutsche Panzerkolonne auf uns zu.« Sie lächelte. »Wir schaffen das schon.« Sie fuhr zurück auf die Straße.
»Vermutlich hat diese Sache ihr Gutes. Wie das häßliche Entlein, das sich in einen Schwan verwandelt. Manchmal wendet eine Krise die Dinge zum Besseren, sie zwingt einen, herauszufinden, was man von vornherein gewollt hat. Wie heißt doch gleich der Spruch, ich weiß es nicht mehr genau, aber so ungefähr: ›Krise ist maskierte Chance.‹«
»Im Moment ist sie wirklich sehr erfolgreich maskiert«, erwiderte Vic mit ruhiger Stimme.
»Komisch, ich hatte immer gedacht, daß ich mal unterrichten würde. Ich meine, was kann man denn sonst werden außer Krankenschwester, Lehrerin oder Sekretärin?«
»Wir haben mehr Möglichkeiten.«
»In New York City vielleicht, aber im übrigen Land ist es immer dieselbe alte Leier. Und ich dachte, unterrichten wäre ganz gut – ich hätte Ferien.
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