Alma Mater
Charly sich das Auto eines Freundes geliehen. Als die Jamestown-Fähre an Scotland Wharf anlegte, war er wie jedes Mal gerührt, wie ländlich Surry County noch war. Der Süden von Virginia lebte in einer anderen Zeit als der Rest des Staates. Das gefiel ihm.
Seit der Nacht, in der er mit Vic und Chris ins Bett gegangen war, hatte er zwanghaft an sie gedacht, wechselnd zwischen gesteigerter sexueller Begierde und Entsetzen bei der Vorstellung, wie die zwei Frauen sich geliebt hatten. Daß Frauen sich gegenseitig begehrenswert fanden, leuchtete ihm ein. Frauen waren der pure Sex, der Mittelpunkt jeglicher Begierde. Er kam nicht auf den Gedanken, daß er Vic mit Chris teilte. Er hielt die Beziehung der beiden für Freundschaft mit einem gewissen Extra.
Er überlegte, ob er mit Vic über ihre und Chris’ Freundschaft sprechen sollte.
Er mochte Chris. Sie war nett und hübsch. Mit ihr zu schlafen war ihm nicht schwer gefallen, aber er konnte nicht aufrichtig sagen, daß sie ihn sexuell erregte. Vic stand bei ihm stets im Mittelpunkt. Er war wie eine Stimmgabel. Kam sie in seine Nähe, vibrierte er.
Ganz sicher erging es ihr mit ihm genauso. Ihre Küsse waren leidenschaftlich, ihr Körper wurde heiß, wenn er sie berührte, sie wollte ihn in sich haben. Sie gehörten zusammen.
Die Stadt Surry kam in Sicht. Er fuhr die Main Street entlang, bog in die Gasse hinter Franks Büro ein und parkte. Er stieg aus in den mehr als lebhaften Wind, schloß die Augen und atmete tief durch.
Gerade als er zur Eingangstür kam, öffnete Sissy Wallace sie von innen.
»Ah, ich dachte, daß Sie’s sind. Wir haben uns viel zu lange nicht gesehn.« Sissy strahlte. Sie hatte Charly im Laufe des vergangenen Sommers ins Herz geschlossen.
»Hallo, Miss Wallace. Schön Sie zu sehn.«
»Kommen Sie schleunigst rein. Es gibt einen schrecklichen Sturm. Vielleicht nimmt er mir ein bißchen Arbeit beim Bäumebeschneiden ab. Ich muß die ganze Gartenarbeit machen, weil Poppy zu alt ist und Georgia sich einen von ihren kostbaren Fingernägeln abbrechen könnte.« Sie schloß die Tür hinter ihm. »Ich wollte gerade gehn. Frank ist unser Anwalt, und ich genieße es so sehr, mich mit ihm zu unterhalten, aber heute war es ein geschäftlicher Besuch, nichts Privates. Poppy hat Yolanda in die Küche gelassen. Sie wohnt in der Küche. Das geht einfach nicht. Georgia ist viel zu nachsichtig mit ihm. Sie sagt, Yolanda macht ihn glücklich. Und ich sage, sie ist eine Kuh und Poppy soll sein Glück woanders suchen.«
»Ach, das ist aber sehr bedauerlich, Miss Wallace«, erwiderte Charly, verwundert, daß Sissy eine andere Frau eine Kuh nannte. Vielleicht hatte sie schon ein paar Margarita intus.
»Wenn ich mich mit ihr abfinde, werde ich verrückt. Tue ich’s nicht, streicht er mich wieder aus seinem Testament. Es ist so lästig.« Sie schob verdrossen die leuchtend rote Unterlippe vor. »’türlich, Georgia verhätschelt ihn morgens, mittags, abends. Sie rechnet damit, daß ich irgendwann die Beherrschung verliere, so daß er das Testament annulliert und mich gleich mit. Ich weiß, was sie denkt, die Schlange.«
»Es tut mir Leid, daß Sie unglücklich sind, Miss Wallace.«
Sie standen in der Eingangshalle, und Charly hoffte, Frank würde aus seinem Büro kommen. Er wußte nicht, ob die Sekretärin ihn gehört hatte, aber er wußte, wie Sissy quasseln konnte.
»Ach, ich bin nicht maßlos unglücklich, Charly, nicht so unglücklich, daß ich mich auf die Erde schmeiße und Dreck esse.« Ihre Miene hellte sich auf. »Ein Cadillac würde meine Lebensgeister beträchtlich aufmuntern, und wissen Sie was, Bunny sagt, sie will mir helfen, einen zum Großhandelspreis zu kriegen. Ich möchte einen cremefarbenen Cadillac mit meergrüner Innenausstattung, jawohl. Ich werde einen Schal tragen, der zur Innenausstattung paßt… das betont meine Augenfarbe, aber Sie gucken ja lieber in Vics Augen. Haben die nicht das strahlendste Grün, das Sie je gesehen haben? Wie eine Katze. Vics Mutter auch. Vielleicht sind sie Katzen. Anmutig wie Katzen. Ach du liebe Zeit, da quatsche ich über mich, dabei haben Sie das großartige Footballspiel gespielt, wir waren ja alle so stolz auf Sie, Charly Harrison. Stolz wie Oskar.«
Endlich erschien Mildred, Franks Sekretärin. Sie zwinkerte Charly zu. »Mr. Savedge erwartet Sie.«
»Ich muß machen, daß ich wegkomme, bevor der Sturm loslegt. Ich werd mich wohl mit Yolanda
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