Alma Mater
müssen.«
»Mom, wir sind Episkopalen. Warum muß ich mit ihm sprechen?«
»Weil wir hier leben und weil die Nachricht durch diesen Bezirk fliegen wird wie ein Ballon, aus dem die Luft entweicht. Du willst doch nicht, daß der gute Pastor dich für gotteslästerlich hält.«
»Ich bin ein bißchen gotteslästerlich.«
»Das kannst du für dich behalten.«
»Meinst du wirklich, ich muß zu ihm gehn?«
»Selbstverständlich.«
»Könnten wir nicht alle Katholiken nach Maryland zurückschicken?«
R. J. zog Vic auf einen Küchenstuhl. »Schlimmes Mädchen.«
»Stimmt.« Vic zeigte keinerlei Zerknirschung.
R. J. wurde ernst. »Herzchen, du mußt das College zu Ende machen.«
»Nein.«
R. J. faltete die Hände. »Was ist bloß in dich gefahren?«
»Das weiß ich auch nicht. Laß mich einen Job suchen.«
»Hier?«
»Ich könnte mich in Williamsburg umsehen.« Vic versuchte die richtige Methode zu finden, um ihrer Mutter beizubringen, was sie wirklich wollte.
»Um in Charlys Nähe zu sein?«
»Das wäre kein Nachteil«, murmelte Vic ohne Überzeugung. »Ich nehme nicht an, daß du mir sagen wirst, weshalb er hier war?«
»Um einen Besuch zu machen. Und hast du dir überlegt, daß du nach deiner Eskapade vielleicht keinen Job in der Stadt kriegst?«
»Niemand weiß davon außer dem Pastor und dem Dekan.«
»Verstehe.« Sie atmete tief ein. »Und was sagt Charly dazu?«
»Er ist entrüstet.«
»Ich nehme an, Jinx ist auch entrüstet.«
»Sie findet, ich bin bescheuert.«
»Tja, da hat sie nicht ganz Unrecht.« R. J. beugte sich zu Vic vor. »Warst du allein bei dieser Ruhmestat?«
»Klar. Wer sonst wäre wohl so blöd?«
»Mir fallen mindestens zwei weitere Personen ein, und bei deiner Überredungskunst sind es vermutlich noch mehr.«
»Ich war’s ganz allein.«
»Was um alles in der Welt ist bloß in dich gefahren?«
»Das hast du mich schon mal gefragt, und ich hab gesagt, ich weiß es nicht.«
»Ach, Victoria Vance, der Muttergottes Grillgabeln an die Hände kleben, das gehört sich einfach nicht.«
»Hast du noch nie was getan, nur so aus Jux und Tollerei? Weil dir langweilig war oder du ganz von dir eingenommen warst oder weil Vollmond war? Ich hab keinen Grund. Ich war kein mißhandeltes Kind. Meine Eltern sind keine Alkoholiker. Ich hatte mir das einfach in den Kopf gesetzt«, sagte Vic mit fester Stimme.
R. J. betrachtete ihre Älteste, das kräftige Kinn, die Entschlossenheit, die ihrer Schönheit zugrunde lag. »Liebes, ich habe mir so manches in meinem Leben in den Kopf gesetzt, und ich finde, es hat mir nicht viel gebracht. Ich hab mich bemüht, logisch und tüchtig zu sein und alles im Griff zu haben. Es gab Zeiten, da habe ich mich zu Tode gelangweilt.«
»Andere hast du nie gelangweilt.«
»Danke, Liebes, das hast du nett gesagt.« R. J. lehnte sich mit einem Plumps auf ihrem Stuhl zurück. »Dein Vater wird fuchsteufelswild sein. Und deine Schwester wird’s einfach göttlich finden.« Sie sah aus dem Fenster; der Fluß war noch aufgewühlt. »Liebst du Charly?«
»Was bringt dich darauf?«
»Mein Herz.« R. J. spürte in ihrem Innersten, daß da etwas nicht stimmte. Als sie und Frank frisch zusammen waren, waren sie voneinander berauscht gewesen. Das hatte sie bei Vic nicht beobachtet. Bei Charly schon.
»Ich dachte, du hast ihn gern.«
»Tu ich auch. Es ist bloß – ach, ich weiß nicht.« R. J. griff nach ihren Lucky Strikes.
»Ich weiß, warum er hier war, Mom.«
»Hat er’s dir gesagt?«
»Nein.«
»Dann weißt du vielleicht nicht, warum er einen Besuch gemacht hat.«
»Ich bin nicht blöd.«
»Das sagt eine, die eben im letzten Studienjahr wegen eines Streichs vom College geflogen ist. Vielleicht möchtest du deinen Standpunkt überdenken.«
»Hm, ja… Hör mal, meinst du, wenn ich Charly heirate, wird seine Familie uns Geld vermachen?«
»Ja«, erklärte R. J. entschieden.
»Würde es euch helfen, wenn ich ihn heirate?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ihr zwei mit eurem Geld tun werdet.«
»Tante Bunny hat immer durchblicken lassen, daß es unserer Familie helfen würde.«
Eine Spur Verärgerung zeigte sich auf R. J.s Gesicht. »Sie weiß nicht, wovon sie redet. Und seit wann hörst du auf Bunny?«
»Mir ist bange wegen Geld. Mir ist bange um Surry Crossing.«
R. J. hob die Stimme.
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