Alpendoener
»Wieso?«
»Weil sie mir heute Morgen gefehlt hat.«
Frau Zulauf schaute apathisch ins Leere. »Komisch.«
»Aber Sie wissen nichts?«
»Nein. Aber sie müssen unbedingt mal wieder vorbeischauen,
ich hab noch ganz anderen Schnaps, den werden Sie mögen. Das war nicht das
letzte Mal.« Sie lachte wie eine Hexe.
Birne versprach wiederzukommen, ohne zu ahnen, dass es
diesmal wirklich das letzte Mal bei ihr war, dass er tausend Mal leichter
wieder ihren Likör getrunken hätte als den scheußlichen Kelch, den das
Schicksal schon für ihn am Brauen war.
Jetzt musste er sich um seinen eigenen Rausch kümmern.
2.Tag
Birne bereute seine Zusage. Birne hatte Kopfweh,
und schlecht war ihm auch. Birne hatte sich gedacht, gestern, wenn einsam, dann
gescheit einsam und nicht mehr Wirtschaft und mit noch mehr Menschen verkehren.
Er hatte sich einen Sixpack von der Tankstelle geholt
und dabei den Zehner der Frau schon fast aufgebraucht. Ziemlich lustlos hatte
er den weggetrunken und dann, leicht angesoffen vor
einem witzigen Programm im Fernseher, beschlossen, noch mal rauszugehen und sich neues Bier und eine kleine Flasche Kräuterschnaps zu besorgen. Das war
sein Fehler, und er sah ihn um 4 Uhr früh ein. Der Wecker klingelte, und Birne
musste auf die Jagd mit Werner. Er hasste sich kurz, überlegte sich, ob er
Werner anrufen und alles absagen sollte.
Konnte er nicht, gleich am zweiten Tag.
Zweiter Tag. Einen tollen Anfang legte er da hin. Wenn, dann
musste er sofort raus, sonst würde er wieder einschlafen.
Er stand auf, versuchte dabei, mit möglichst wenigen
Gegenständen in Berührung zu kommen, die wären nur so gefallen.
Er saß zehn Minuten später angezogen in seiner Küche und
wartete.
Er hätte nun 15 Minuten warten können. Frühstücken traute er
sich nicht wegen der Gegenstände, wollte er auch nicht, es war ihm schlecht.
Einen Kater hatte er nicht, dazu war er noch zu voll. Er nahm
ein Glas aus dem Kasten, das nicht fiel und deswegen Birne gefiel. Am Schrank
schlug er sich nicht an. Am Wasserhahn stellte er nicht aus Versehen das heiße
Wasser an. Er riss eine Packung Aspirin auf, was nicht einwandfrei klappte, er
fluchte aber nur wenig und leise, weil der Rest des Morgens relativ gut zu ihm
war, den Umständen entsprechend.
Die Tablette löste sich auf, er schaute zu. Dabei fiel ihm
ein, dass er jetzt mal schauen könne, ob die Zeitung da war.
Er zog sich nur ein paar Sandalen an und ging runter, fand,
dass er auf den alten Stufen des Treppenhauses relativ viel Krach machte. Er
bemühte sich, leiser zu sein. Er blieb kurz stehen, um zu hören, ob es ein
Hintergrundrauschen gab, in dem er mit seinen eigenen Geräuschen hätte aufgehen
können. Nichts. Dunkle Nacht. Weit weg ein Auto auf einer Straße. Der Bahnhof,
ein dünnes Rauschen von Blättern im Wind. Eine schöne Stille.
Die Zeitung war noch nicht da, um die Zeit musste sie das
auch noch nicht, das war in Ordnung. Er ging wieder hoch, dabei ging das Licht
im Treppenhaus aus. In seiner Wohnung hatte er vergessen das Licht im Gang
anzumachen. Er stolperte so saublöd über seinen Telefontisch, dass es ihn
hinhaute, der Länge nach. Das tat weh, der Kopf jetzt auch, er fluchte, sehr
laut, sonst war es still, bis auf das Brausen der Aspirintablette, die sich
endgültig in ihrem Glas Wasser in der Küche auflöste, wo das Licht an war.
Birne hätte geweint als Kind.
Werner war pünktlich.
»Alles klar, Junger?«, wollte er wissen, als Birne in seinen
roten, alten 3er BMW stieg. »Hast du dich warm eingepackt?«
»Alles klar.«
»Gefrühstückt wirst du schon haben.«
»Ja, ja.« Aspirin halt.
»Und wie war deine erste Nacht in Kempten? Du
weißt, dass man sagt: ›Was man in der ersten Nacht in seiner neuen Wohnung
träumt, das geht in Erfüllung.‹«
Woher hatte der Mann in dieser Früh seine Redefreude her?
»Das war nicht meine erste Nacht.«
»Man sagt’s ja auch bloß.«
Danach war Stille. Werner hatte gespürt, dass Birne nichts
sagen wollte. Oder auch er stimmte sich schweigend auf die Jagd und die Natur
da draußen ein.
Sie fuhren ein Stück auf der Autobahn, bogen dann ab, kamen
durch einen schlafenden Ort, fuhren von dort auf einen Feldweg und waren bald
da.
Birne braucht eine Weile, bis er wieder zur Ruhe fand, und
nickte dann auf den letzten Kilometern ihrer Fahrt noch mal ein. Sein Arbeits-
und Jagdkollege schaute grinsend zu ihm hinüber, freute sich, dass der andere
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