Alpendoener
drin, sah eine Menge Symbole in einem blauen
Kalenderbuch.
»War mein Projekt«, verriet Sigrid stolz.
»Ist toll geworden.«
»Heute ist Leibesertüchtigung.«
»Dann müsst man sich heute noch bewegen.«
»Ich gehe ins Fitnessstudio heute noch.«
»Fitnessstudio?«
»Ja, da gibt’s ein ganz tolles in Kempten, eigentlich zwei,
eines für Frauen, also nur für Frauen, und eines für gemischt.«
»Du wirst wahrscheinlich in das für Frauen gehen.«
»Ja.« Sigrid lächelte und wurde ein bisschen rot.
Mit einem Poltern kam Werner die Treppe herauf zurück zur
Arbeit. »Der Chef schaut heute noch kurz rein«, schrie er.
Sigrid flüchtete wie ertappt von Birne weg an ihren Platz. Es
war nie etwas geschehen. Werner grinste. Birne schüttelte innerlich den Kopf.
Irgendwann, sobald er raus war aus dieser
Situation, würde jemand kommen – vielleicht sogar Tim, und er würde sich
freuen, sogar, wenn es ausgerechnet Tim wäre –, würde ihm auf die Schulter
klopfen und sagen: »Das musst du nicht so tragisch werten, der hat heute einen
strengen Tag, die Reise und so weiter, morgen sieht er wieder ganz anders aus,
morgen wird er es nicht mehr erwähnen, höchstens einen Scherz machen, wir
werden alle lachen.«
Noch steckte Birne aber in der Situation, knietief, und er
sank noch tiefer und wünschte sich, nicht hier zu sein, sondern seinetwegen auf
einem Berg, und Ruhe um sich zu haben, die Ruhe, die er jedem schenken würde,
würden sie ihn lassen, die anderen und die verfluchten Dinge.
Der Chef war zurückgekommen, nur kurz reingeschneit, hatte
die Praktikantin dabei, leise hinter sich, und Birne dachte: Die hat
wahrscheinlich einen guten Charakter und mehr auch nicht. Der Chef hatte einen
weißen Leinenanzug an und freute sich, wie er anmerkte, dass der Neue da sei,
wollte wissen, ob er sich schon eingelebt habe, und wies die Junge an, sich in
ihrem ungelenk getragenen Hosenanzug zur Kaffeemaschine zu bewegen und für die
Mannschaft Kaffee zu brühen, um sich bei einer Tasse besser kennenzulernen ,
sich aneinander zu gewöhnen. Werner lehnte sofort ab, setzte sich aber dazu.
Und hätte man Birne gefragt, wie es denn genau zu der
Situation gekommen sei? Da hätte er antworten müssen, dass er es genau auch
nicht mehr rekonstruieren könne, dass er sich schon sehr konzentriert habe,
nichts zu viel zu berühren, dass er möglicherweise einen Moment ein bisschen zu
sehr auf den lustigen Zwirbelschnurrbart seines Bosses, der so nett zu seinem
graubraunen weniger werdenden Haar passte, geachtet habe, als er noch eine
Tasse eingeschenkt und halt dabei ein paar Tropfen auf den Anzug gebracht habe.
Ein paar Tropfen, die im nahezu sofort einsetzenden Gebrüll, das keinesfalls
mit Verbrühschmerz zu rechtfertigen war, vor Schreck ein paar mehr wurden,
genau so viel, dass man von einem ruinierten Anzug sprechen konnte.
Es war passiert, man konnte nichts dran ändern. Birne hätte
gern beschwichtigt. Das kleine Kaffeekochmädchen stand auch hilflos daneben,
das nahm Birne wahr, und es nützte ihm nichts. Der Chef war sauer, nannte ihn
ein Rindvieh, das würde ihm später leidtun . Er nannte
Birne auch einen Hornochsen, und Birne dachte: Wer ist wohl der größere
Hornochse: ich oder der, der einen Hornochsen wie mich anstellt?
Sigrid sagte: »Beruhigen Sie sich, ich will schauen, ob man
was rausbekommt.« Sie war zum Waschbecken gerannt und hatte ein Handtuch nass
gemacht.
Der Chef ließ sie nicht ran, der Chef sagte: »Ich will mich
nicht beruhigen. Ich will mich aufregen, ich will einen Menschen umbringen.«
Dann wurde es still.
*
Sie wusste zu gefallen. Ihm. Sie durfte ihm
gefallen. Alle durften ihm gefallen. Fett.
Er wusste nicht, ob ihm das alles noch Spaß machte, sein
Alltag, er erledigte seinen Job, weil es sein Job war und er dafür Butter auf
sein Brot bekam, mehr nicht. Er war nicht mehr in dem Alter, in dem man sich
jeden Tag eine halbe Stunde fragt, ob man denn jetzt glücklich ist oder nicht.
Die Zeit vergeht immer schneller, die Zeit ist eine Sanduhr, privat war genug
schief gelaufen, da brauchte er nicht noch seinen Job infrage stellen.
Kommissar Bruno Abraham schaute durch die Glasscheibe seines
Büros auf seine Schreibkraft Tina. Tina kam von Martina, lieber wäre es Abraham
gewesen, wenn es von Christina gekommen wäre, aber es war in Ordnung, vor allem
die Frau war in Ordnung. Er schaute ihr zu, wie sie in einem Ordner blätterte,
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