Alpengrollen: Kriminalroman
schon schiefgehen«, sagte Max, schloss das Fenster wieder und winkte ihm zum Abschied zu.
Hundert Meter weiter kam er an einer Unfallstelle vorbei. Es sah ganz danach aus, als wäre ein Fußgänger von einem Auto erfasst worden. Der alte Mann lag immer noch am Boden. Da sich die Sanitäter des Rettungswagens aber bereits um alles kümmerten, fuhr er zügig weiter. Glück gehabt. Ohne den Platten hätte vielleicht ich den guten Mann über den Haufen gefahren, kam es ihm in den Sinn.
Was ist denn heute nur los? Wenn das alles bloß mal keine Vorboten der Alpengeister sind. Er musste grinsen. Sein Vater hatte die Alpengeister früher oft für all die unerklärlichen Dinge, die immer wieder in den Bergen geschahen, verantwortlich gemacht. Touristen, die sich trotz bester Beschilderung verliefen, Schafe, die von Tieren gerissen wurden, die man nie zu Gesicht bekam, Blitzschläge, die ausgerechnet in den Baum einschlugen, unter dem ein paar ängstliche Naturen Schutz gesucht hatten, oder Lawinen, die sich genau dann lösten, wenn ein paar Skifahrer den Hang darunter kreuzten. Passt nur auf, hatte er halb im Scherz, halb im Ernst gesagt. Die Natur schlägt zurück und die Alpengeister sind ihre Racheengel. Sie vernichten genau die, die sie zerstören wollen.
Max glaubte nicht an die Alpengeister. Genauso wenig wie an andere Geister. Die Welt des Mystischen und Unerklärlichen war nicht seine Welt. Nicht einmal auf dem Oktoberfest. Selbst nach fünf Maß Wiesenbier brachte man ihn unter normalen Umständen nicht in die Geisterbahn hinein, die er für absolut albern und lächerlich hielt. Obwohl ja schon so mancher trinkfreudige Geselle darin verschwunden sein sollte. Und seitdem nie wieder zu Hause gesehen wurde, wie es hieß. Das war doch auf gar keinen Fall Sabine in diesem Kombi vorhin. Oder? Nein, bestimmt nicht. Aber ganz sicher konnte er es auch nicht sagen. Der Wagen war ja viel zu schnell wieder verschwunden gewesen. Merkwürdig.
5
Kurz hinter Kufstein hörte es endlich zu schneien auf. Im Verkehrsfunk gaben sie gerade durch, dass bei Mühldorf ein LKW in die Schlange stehenden Autos hineingerauscht sei. Schon wieder Dusel gehabt, dachte Max. Die alte Dame in der Metzgerei hatte wohl recht gehabt. Man sollte nie mit seinem Schicksal hadern. Was ihm hätte passieren können, wenn er vorhin nicht von der Autobahn abgebogen wäre, wollte er gar nicht wissen.
Hoffentlich strapazierst du dein Glückskontingent mit diesem Luxusurlaub nicht allzu sehr, Raintaler, schoss es ihm durch den Kopf. Sonst erwischen dich am Ende doch noch die bösen Alpengeister. Die teils immer noch neblige Landstraße in die Berge hinein war Gott sei Dank nur wenig befahren. Es ging zügig voran. Max genoss das angenehme Kribbeln, das die Vorfreude auf die Piste in seinem Magen verursachte. Bald würde er sich auf seinen nagelneuen Brettern ins Tal hinunterstürzen. Seine Stimmung war eindeutig auf dem Weg nach oben. Bis ihn eine Streife der österreichischen Gendarmerie kurz vor seinem Ziel an den Straßenrand winkte. Mache ich mir etwa zu viele Sorgen wegen der Sache mit dem Glück? Seine Miene verfinsterte sich. Er hielt auf dem kleinen Parkplatz vor ihrem Auto an.
»Grüß Gott. Verkehrskontrolle. Ihre Papiere bitte!«, blaffte der vielleicht gerade mal 25-jährige Mann in der frisch gebügelten dunkelblauen Uniform, der zu ihm ans Fahrerfenster getreten war, unfreundlich.
Mistwetter, Stau, Platten, Unfälle und jetzt auch noch das. In Max stieg Unmut auf. Das wird ja langsam der reinste Hindernislauf, bis ich endlich mal auf der Piste bin. Von meinen Nachforschungen für Anneliese einmal ganz abgesehen. Wenn es so weitergeht, ist Sabine eher in München zurück, als ich in St. Johann ankomme.
»Aber natürlich. Hier, bitte sehr!« Er zwang sich zu einem höflichen Lächeln. Schließlich kannte er die langwierigen Mühen des Streifendienstes aus seinen eigenen Anfängertagen. Vor allem bei einem derart ungemütlichen Wetter wie heute konnte das ein sehr undankbarer Job sein, wusste er.
»Danke«, erwiderte der Polizist knapp und unpersönlich.
Max hätte nicht auf der Stelle sagen wollen, dass es sich bei ihm um einen eingebildeten Schnösel handelte. Aber wenn man genau hinsah, kam der kurzgeschorene Bursche dieser unsympathischen menschlichen Spezies mit seinem wichtigtuerischen Gehabe doch recht nahe.
»Ist das Wetter in Kitzbühel auch so schlecht?«, fragte der Münchener Exkommissar in der Absicht, die steife
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