Alpengrollen: Kriminalroman
schräggelegtem Kopf misstrauisch zu ihm hoch.
»Ich bin ein guter Freund ihrer Mutter. Und die macht sich große Sorgen, weil sie ihre Sabine seit zwei Tagen nicht mehr erreichen kann.«
»Aha. Ja, dann. Na gut, Herr Raintaler.« Sie lockerte ihre angespannte Haltung etwas, lächelte jetzt ebenfalls, wenn auch zurückhaltend, und kam etwas näher. »Ich erklärte es der Frau ja schon am Telefon«, sagte sie. »Ich habe keine Ahnung, wo das Mädel steckt. Und meine Leute auch nicht. Wir sind hier ja keine Kindergärtner. Unsere Gäste dürfen hingehen, wo sie wollen. Da kümmern wir uns nicht groß darum.« Sie zeigte auf die weitläufige, verschneite Landschaft ringsumher.
»Selbstverständlich. Aber vielleicht ist Ihnen ja doch irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen. Ein fremdes Auto in der Einfahrt. Oder jemand, der die Mädchen einmal zusammen abgeholt hat. Oder Sabine alleine.« Max steckte das Foto wieder in seine Brusttasche.
»Nein. Nicht, dass ich wüsste. Da war gar nichts. So. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Wir feiern heute unseren Hausfasching und da muss ich noch eine Menge vorbereiten.« Sie trat flink zwei Schritte zurück und schickte sich an, die Tür wieder zu schließen.
»Aha. Also doch Fasching«, sprach Max weiter, ihre offensichtliche Eile geflissentlich ignorierend.
»Wie bitte?«
»Oh, nichts, nichts. Ich habe nur laut gedacht. Wegen der Frisur.« Er deutete grinsend auf ihren Kopf. »Sind denn Sabines Freundinnen gerade auf ihrem Zimmer?«, bohrte er weiter. So schnell gab einer, der mal bei der Polizei war, natürlich nicht auf. Selbst der Raintaler nicht, der zu seinen Dienstzeiten nie einer der Übereifrigsten gewesen war. Meistens absolut genial, aber nicht übertrieben fleißig. Das hatte immer zwischen den Zeilen seiner Beurteilungen gestanden.
»Weiß ich nicht. Ich sagte es Ihnen ja schon. Wir sind hier keine Kindergärtner.« Die herausgeputzte Tirolerin hatte, wie es schien, jetzt wirklich keine Zeit mehr. Sie sprach immer schneller, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und bekam hektische rote Flecken auf den Wangen.
»Darf ich eventuell kurz hereinkommen und bei ihnen an der Tür klopfen?« Max legte ihr sein charmantestes Verführerlächeln zu Füßen.
»Das dürfen Sie natürlich. Bitte.« Sie stöhnte kurz gestresst auf, trat zur Seite, um ihn hereinzulassen, und wies mit der Hand auf die alte dunkelbraune Holztreppe links hinter dem Windfang. »Erster Stock, zweite Türe rechts, bitte. Zimmer elf«, stieß sie im Telegrammstil hervor. »Falls niemand da ist, ziehen Sie bitte die Haustüre einfach hinter sich zu, wenn Sie wieder gehen. Ja? Wiederschauen. Ich muss jetzt los. Ist nicht böse gemeint.« Sprach’s, drehte sich ruckartig um und hastete den Flur hinunter.
»Alles klar. Wiederschauen. Und danke!«, rief Max ihr hinterher.
Als er vor der Zimmertür mit der Nummer elf ankam, klopfte er kräftig dagegen. Natürlich nicht zu kräftig. Wer will sich schon im Urlaub die Fingerknöchel prellen. Keine Antwort. Er versuchte es noch einmal. Immer noch nichts. Die werden sicher beim Skifahren sein, sagte er sich. Ist ja auch schon nach zwölf. Höchste Zeit für die Piste. Logisch. Und genau dahin werde ich mich jetzt ebenfalls begeben. Komme ich halt später wieder. Er stieg die Treppe hinunter, schloss die Tür, ignorierte den bellenden Hund, der sich daraufhin wieder in seine Hütte verzog, und setzte sich in sein Auto.
»Auf geht’s, Raintaler. Der Berg ruft!«, jubelte er laut, während er den Motor startete.
Oder sollte er lieber erst einmal in sein Hotel fahren und einchecken? Ach was. Das würde am Nachmittag genauso gut gehen. Schließlich hatte er ja reserviert. Da konnte nichts schiefgehen. Nichts wie ab in die Hahnenkammbahn und nach oben ins Skiparadies. Der schönste Sonnenschein und 170 Kilometer Piste warteten nur darauf, genossen zu werden. Ein paar passende Abfahrten für ihn waren da sicher dabei. Auch wenn die Streif selbst wegen des Rennens am Wochenende gesperrt war. Schließlich musste dort ja alles gründlich präpariert werden.
Auf dem Weg zur Talstation kam ihm die verkleidete Pensionswirtin noch einmal in den Sinn. Sie schien es ja sehr eilig gehabt zu haben, ihn wieder loszuwerden. Hatte sie irgendetwas zu verbergen? Auf einmal hatte er wieder dieses gewisse Bauchgefühl, von dem man auch immer wieder in Kriminalromanen liest. In all deinen Jahren als Kriminaler hat es dich nur selten getrogen. Oder? Langsam,
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