Alphawolf
fürchtete, ermahnte sich jedoch, sich nicht selbst zu überschätzen, denn sein eigener Körper schien ihm seltsam fremd. Der Timberwolf in ihm hatte ihn schon immer stark gemacht, aber nun, da sowohl die Kraft des Menschen als auch des Tiers gleichzeitig wirkten, kam er sich wie ein abgehärteter Soldat vor, der leichtfüßig durch den hohen Schnee stapfte, als wäre dieser Luft. Aber er konnte seine Kraft noch nicht dosieren, war übermütig hochgesprungen, um einen Zweig zu berühren, als wäre es die Hand eines Rudelgefährten, die er abklatschen wollte, und hatte stattdessen den gesamten Ast abgeschlagen.
Er vermied es, sich zu Tala umzudrehen, obwohl er gerne ihrem Blick begegnet wäre, doch es hätte ihm das Herz gebrochen, den Abscheu auf ihrem Gesicht zu lesen, der sicherlich nun doch in ihr aufkeimte. In der Schwitzhütte war es stockfinster gewesen und sie hatte vor ihrem geistigen Auge noch immer Claw gesehen. Aber nun konnte sie das ganze Ausmaß seiner Verwandlung erkennen. Zweifelsohne würde sie ihn nie wieder anfassen, ihn nie wieder küssen wollen, und bei aller Zuversicht, die er ihr vorgegaukelt hatte, war er unsicher, ob sein Körper jemals wieder vollkommen menschlich sein würde.
Wut wallte in ihm auf und ließ ihn schneller auf das Restaurant zulaufen, in dem Dante auf ihn wartete. Der Schnee, dessen Oberfläche gefroren war und von einer dünnen Schicht Neuschnee bedeckt wurde, knirschte unter seinen pfotenartigen Füßen. Er sprintete den Abhang hinunter, rannte am Ufer des Athabasca-Sees entlang und war nicht einmal außer Atem, als er vor der Sonnenterrasse, die auf das Ufer gebaut worden war und halb über das Wasser ragte, stehen blieb.
Es fing an zu schneien, dicke Schneeflocken fielen zur Erde und waren wie ein löchriger weißer Vorhang zwischen ihm und dem großen Holzhaus. Im Inneren war es dunkel, aber Claws Augen hatten das Sehvermögen eines Adlers und konnten einen Schatten neben dem Fenster ausmachen. Er war jedoch zu klein, um von Dante zu stammen und zu groß, um zu Rufus zu gehören. Claw vermutete einen der drei Schamanen. Das bedeutete, Dante war nicht weit, denn er hätte den Mann niemals unbeaufsichtigt gelassen.
Claw schnupperte. Sein ohnehin guter Geruchssinn war durch die Zeremonie noch besser geworden. Er konnte ihn riechen, den Indianer und Dante, allerdings war der Geruch seines Widersachers überall, sodass Claw nicht ausmachen konnte, wo er sich aufhielt. Das Problem war, dass Dante das gesamte Haus frisch mit seinem Urin markiert hatte.
Es war das Herz seines Territoriums. Claw musste in Dantes Heiligtum eindringen, um ihn zu erledigen, doch sein Feind kannte das Gebäude in- und auswendig, für Claw dagegen war es wie ein schwarzes Loch. Er war Dante unterlegen.
«Nur theoretisch», murmelte er. Er würde diese Schwäche mit seinem Willen wettmachen.
Jemand öffnete den Haupteingang des Restaurants. Zögerlich trat der Schamane hervor. «Wir haben Sie erwartet.»
Seine Miene war wie in Stein gemeißelt und seine Stimme klang fest, aber Claw vernahm das hektische Pochen seines Herzens, als wären es Trommelschläge. Seine Haut glühte vor Aufregung oder zumindest hatte es für Claw den Anschein, und er konnte selbst in der Dunkelheit verfolgen, wie eine Schweißperle seine Stirn hinunterrann. All diese Wahrnehmungen lagen für ihn wie auf einem Tablett, sie waren beinahe aufdringlich offensichtlich.
Seine Sinne waren so geschärft, wie sie nicht einmal als ‹normaler› Werwolf gewesen waren. Wenn man von normal sprechen konnte.
Warum nahm er dann nichts von Dante wahr? Er musste doch zumindest die Hitze seines Körpers spüren oder das Knarren der Holzbretter, wenn er auftrat, wenn schon nicht seine Ausdünstungen riechen, da der beißende Uringestank alles überlagerte. Aber da war nichts.
Claw wusste, dass sein Gegner in der Nähe war, und machte nicht den Fehler, sich nur auf das Restaurant zu konzentrieren. Dante konnte genauso gut in einem Baumwipfel darauf warten, auf ihn herunterzuspringen. Doch dadurch, dass Claw auch die Umgebung im Blick behielt, musste er seine Konzentration aufteilen.
Die bevorstehende Konfrontation war überfällig. Alter Zorn stieg in ihm hoch.
In seiner Erinnerung sah er, wie er den schmalen Pfad, der vom Garten seines Cousins Chad in den Wald führte, entlangging. Er hatte zur Feier des Tages ein paar Bier mehr als üblich getrunken, seine Blase drückte schmerzhaft, aber die anderen Gäste des Barbecues, das Chad
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