Alphawolf
Sein Puls beschleunigte sich, als er auf die Stufen der kleinen Treppe hochstieg und auf die Veranda trat. Seine Ohren waren gespitzt, er schnüffelte unentwegt, doch er konnte Dante nicht ausmachen.
Claw wusste nur, er war da. Ganz sicher. Und dass eine böse Überraschung auf ihn wartete, sobald er das Haus betrat. Denn jeder Wolf wusste, dass das Überraschungsmoment die eigene Kraft verdoppelte.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als wachsam zu sein. Bevor Claw eintrat, sammelte er sich und versuchte, seine Sinne zu bündeln. Der Wolf sagte ihm, dass er ruhig bleiben musste, bis der Kampf begann. Durch Nervosität verlor man seine Kraft und Konzentration. Er musste lauern und die Aggressivität des Tieres im richtigen Moment herauslassen.
Aber das alles wusste Dante auch.
Es ging nicht darum, wer stärker war, sondern wer den Tod des anderen mehr wollte. Claw brauchte sich nur die Kratzer an Talas Schulter in Erinnerung zu rufen, die Dante ihr zugefügt hatte, und der Hass in ihm wollte augenblicklich explodieren.
Claw atmete tief ein, dann trat er über die Schwelle ins dunkle Gebäude. Rasch sah er sich um. Links konnte er das Restaurant sehen, die Stühle standen umgedreht auf den Tischen. Die Jalousien der Fensterfront waren nach oben gekurbelt worden und Claw konnte bis auf den Athabasca-See gucken.
Geradeaus, etwas nach hinten versetzt, führte eine Treppe ins Obergeschoss. Eine Kette versperrte den Weg, an ihr hing ein Schild mit der Aufschrift «Zutritt nur für Personal».
Neben der Treppe bemerkte Claw eine verschlossene Tür, die möglicherweise in die Lagerräume im Keller führte.
Rechts stand der Schamane vor dem Eingang zur Küche. Claw sah die Abzugshauben aus Edelstahl durch die gläsernen Bullaugen der beiden Schwingtüren.
Der Uringestank war fürchterlich. Dante war allgegenwärtig und dennoch nicht zu sehen. Sein Blick glitt über die diversen Türen und er fragte sich, hinter welcher Dante lauerte. Vielleicht hockte er auch am Treppenabsatz im ersten Stock und beobachtete, was Claw vorhatte.
Der Alpha war ratlos, hatte er doch mit einem sofortigen Angriff gerechnet. Dadurch, dass er ausblieb, zwang Dante ihn zu handeln.
Was Claw irritierte, war der Indianer. Er zitterte, das nahm der Leitwolf deutlich wahr, und er starrte ihn an. Sein Blick hielt den Alpha fixiert, aber Claw hatte nicht das Gefühl, dass er es war, der ihn erschreckte, sondern vielmehr, dass er sich fürchtete, in die Richtung zu schauen, wo Dante sich versteckte und ihn dadurch verriet – und seinen Zorn auf sich zog.
«Laufen Sie!» Claw drückte die Eingangstür weiter auf, auch um zu prüfen, ob sein Widersacher nicht dahinter stand. Eigentlich wäre dieses Versteck zu banal gewesen und genau deshalb schon wieder interessant. Aber da war niemand.
Der Schamane bewegte sich nicht. Er riss lediglich seine Augen auf, als stände er kurz davor, ihm ein Zeichen zu geben, wo Dante kauerte.
Claw wollte ihn außer Gefahr bringen, seinen Gegner würde er auch ohne einen Hinweis finden. «Bringen Sie sich in Sicherheit. Oben auf dem Hügel warten zwei meiner Männer auf Sie.»
Gerade als er den Indianer aus der Tür drängen wollte, hörte er ein Knurren. Es kam – von oben. Nicht aus dem Obergeschoss, sondern von direkt über ihm. Alarmiert schaute Claw zur Decke.
Dante hatte sich mit seinen Krallen an den Querbalken festgekrallt, die die Holzdecke stützen. Sein Gesicht – halb Mensch und halb Wolf – verzog sich zu einem grotesken Lächeln. Dann ließ er sich fallen.
Claw schaffte es gerade noch, den Schamanen wegzustoßen. Im nächsten Moment landete Dante mit seinem gesamten Gewicht auf ihm. Er ging zu Boden, keuchte. Dante war ein Koloss, der ihm die Luft aus den Lungen presste. Er ging alle Extremitäten durch, glücklicherweise schien nichts gebrochen zu sein. Sein Fuß war unnatürlich verdreht, doch als er ihn vorsichtig bewegte, merkte er, dass er nur verstaucht war.
Trotz seiner Masse war Dante geschmeidig wie ein Wolf. Er sprang pfeilschnell auf seine Füße und rammte seine Krallen in Claws Schultern.
Claw jaulte vor Schmerz auf. Die Krallen waren wie Widerhaken, die ihn auf die Füße holten, als Dante an ihm riss. Mit aller Willensstärke ignorierte er den Schmerz – er war noch da, doch in seinem Bewusstsein versenkt – ballte seine Hand zur Faust und hieb sie auf Dantes Schnauze. Sein Widersacher brüllte und ließ von ihm ab, doch seine Krallen hinterließen tiefe Kratzer.
Blut lief
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