Alptraumland
schüttelte nachdrücklich den Kopf. Ich konnte es nicht tun. Ich war nicht dazu bereit. Wenn Redgrave zuviel von mir erfuhr, mußte ich darauf gefaßt sein, daß er sich als etwas entpuppte, das mir nicht genehm sein konnte – als vorsichtiger Mediziner, der mich zuerst so mit Medikamenten vollpumpte, daß ich nicht mehr wußte, ob ich Männlein war oder Weiblein, und mich anschließend als latent geisteskrank denunzierte.
Das Risiko konnte und wollte ich nicht eingehen. Ich war nicht aus meiner engen Bude in New York nach Europa gezogen, um mich vom erstbesten Psychiater in die Klapsmühle einweisen zu lassen.
Ich dachte über mein Erbe nach, an Howard und den Anwalt Robertson. Und meine Träume. Sie hingen mit dem Brief zusammen, den man mir mit zehn Jahren Verspätung zugestellt hatte. Ja, tatsächlich! Bevor ich den Brief erhielt, hatte ich ausgezeichnet geschlafen. Der Brief war die Ursache allen Übels. Er hatte mich Nerven und Kraft gekostet und meine Gesundheit erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Als hätte ein aus der Vergangenheit stammendes Stück Papier etwas unvorstellbar Böses in meine Gegenwart transferiert. Ich dachte an den Schweinehirten. Ich verbrachte die ganze Nacht damit, brütend vor mich hinzustarren, bis draußen allmählich die Dämmerung einsetzte. Den nächsten Tag verbrachten Howard und ich damit, in gemeinsamen Erinnerungen an den Amateurjournalismus, unsere gelegentlichen Landpartien, die uns zu irgendwelchen anderen, meistens aussichtslosen, dafür jedoch um so ehrgeizigeren Möchtegern-Autoren führten, und die Vorzüge der neuenglischen Gesellschaft der amerikanischen Ostküste zu schwelgen. Nicht daß ich irgend etwas oder irgendwen vermißt hätte – für Hollywood tätig zu sein, war viel zu attraktiv, als daß ich mich nach kleingeistigem Klüngel, hirnverbrannten Spinnern und pietistischem Kleinbürgertum zurückgesehnt hätte, gar nicht davon zu reden, daß ich seit Antritt meiner Erbschaft nicht einmal das Drehbuchschreiben noch nötig hatte –, aber es bot vielerlei Ansätze, um zu verhindern, daß Howard etwa wieder auf dem Fall Barlow und meinen Problemen herumhackte.
Natürlich unternahm Howard, weil er auf seine Weise ziemlich starrsinnig ist, in dieser Hinsicht mehrere Vorstöße, überwiegend während der Mahlzeiten, wenn er sich einbildete, ich sei nicht auf der Hut. Aber ich hatte mir schon eine Taktik ausgedacht und ließ mich nicht überrumpeln.
Jedesmal wenn er die Unterhaltung auf die leidigen Scherereien zu lenken versuchte, die ich gar nicht mehr mit ihm beratschlagen mochte, konterte ich, indem ich ihn auf seine Kollegin Sonia Greene ansprach, einer jüngeren, anscheinend betuchten Witwe, die er vor zwei Jahren, 1921, auf einem Amateurjournalisten-Konvent kennengelernt hatte und mit der er seither korrespondierte. Beim Abendessen jedoch verpaßte er mir einen Tiefschlag.
»Sonia will dich vor den Altar schleppen, Howard«, frotzelte ich, nachdem er abermals etwas über ›ein bedrohliches Erbteil der Familie Ashton‹ genuschelt hatte. »Ihre Krallen sind schon nach dir ausgestreckt.«
Ich wußte genau, wie peinlich derartige Bemerkungen einem verklemmten puritanischen Schöngeist wie ihm sein mußten. Ihm zuckte unwillkürlich die Hand, so daß sein Messer über den Teller schabte, auf dem er nur ein paar gekochte Möhren liegen hatte. Aber er war ja von seinem Selbstverständnis her zu sehr Gentleman, um verfängliche Einlassungen von sich zu geben.
»Kann sein«, sagte er kaltlächelnd mit seiner Piepstimme. Ich war mir sicher, daß er noch nie einer Maid an die Punze gefaßt hatte. »Aber schwerer als die Krallen einer schönen Frau sind bisweilen die Klauen der Vergangenheit abzuschütteln.«
Ich verschluckte mich und prustete halbzerkautes Cordon bleu unter den Eßtisch. Es dauerte ein Weilchen, bis ich die Contenance zurückgewonnen hatte. Howard wäre nicht Howard, müßte er nicht immer das letzte Wort haben. Am folgenden Morgen stand ich nach nur wenigen Stunden unruhigen Schlafs in schlechter Laune und mit der Absicht auf, sie Howard, wenn er sich denn unbedingt mit mir anlegen wollte, spüren zu lassen. Aber er nahm mir, kaum daß wir am Frühstückstisch saßen, den Wind aus den Segeln, indem er mir mit scheuem Schmunzeln gestand, heute müßte eigentlich sein Geburtstag gefeiert werden. Nun konnte ich ihm keinesfalls irgendwelchen Groll zeigen, zumal er ausgerechnet in dem Moment damit herausrückte, als Dorothy uns den Kaffee
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