Alptraumland
einschenkte. Ich hätte nicht nur unsere Freundschaft aufs Spiel gesetzt, sondern mich auch bei meinem eigenen Personal vollkommen unmöglich gemacht. Ein Gentleman verdarb einem mit ihm befreundeten Gast nicht den Geburtstag.
Also beglückwünschte ich ihn mit aller Herzlichkeit. Glücklicherweise bot dieser Anlaß Gelegenheit, Erinnerungen an vorherige Geburtstagsfeiern wachzurufen, so daß wir uns in lebhaftes Geplauder vertieften. Bald verlagerte das Gespräch sich auf die Zukunft. Es stellte sich heraus, daß Howard anscheinend keine Gedanken ans Zukünftige verschwendete.
»Ich habe mit der Schreiberei und allem Nebenher soviel zu tun, daß mir dafür noch gar keine Zeit geblieben ist«, meinte er zwischen zwei Tassen unmäßig gezuckerten Kaffees. »Ich sage mir immer, es wird sich schon irgendwie alles fügen.«
»Aha …« Zuerst war ich verdutzt, bis ich begriff, daß sich jemand, der von der Gnade seiner Tanten und den paar Dollar leben mußte, die er mit dem Überarbeiten des graphomanischen Gesudels anderer Leute verdiente, kaum den Luxus hochfliegender Zukunftspläne erlauben konnte.
Um Howard mein Wohlwollen und meinen Großmut unter Beweis zu stellen, beauftragte ich die Storm-Schwestern, zum heutigen Lunch alles an Köstlichkeiten aufzutragen, was Küche und Keller hergaben. Natürlich hätte ich mir denken können, daß der Aufwand sich für den Griesgram Howard gar nicht lohnte – drei Pfund Vanilleeis hätten ihn vollauf beglückt –, doch fiel mir nichts besseres ein, um von den Greulichkeiten der Situation, der zwischen uns feststellbaren peinlichen Entfremdung und den leidigen Gesprächsstoffen, die er immer wieder anschnitt, einigermaßen wirksam abzulenken. Die Folge war, daß ich, als stünde ich unter einem Zwang, mit großer Begierde aß, vor allem halbrohes Roastbeef und blutige Lendensteaks, noch mehr jedoch den Getränken zusprach, die mich rasch zu unvermuteten Anwandlungen freizügigen Humors ermunterten. Howard hingegen stocherte ohne den mindesten Appetit in den Speisen, lehnte alles Alkoholhaltige höflich, aber bestimmt ab, ließ sich allerdings, wie erwartet, fortwährend verschiedenerlei Sorten Speiseeis servieren und trank dazu ständig übermäßig gesüßten Kaffee. Meine verzweifelten Versuche, eine gehobene Stimmung herbeizuführen, scheiterten an seiner puritanischen neuenglischen Steifheit.
Seine panzerartige Unnahbarkeit und sein wiederholtes Geschmunzel hätten mich wahrscheinlich im Laufe des Tages noch schier zur Raserei gebracht, wäre es mir nicht gelungen, durch die schonungslose Zufuhr alkoholischer Getränke meine Sinne und Empfindungen zu betäuben. Gegen Ausklang des Nachmittags fand ich Howard vollends unausstehlich, zumal ich ihn inzwischen doppelt sah. Ich konnte nicht mehr glauben, einmal zwischen mir und ihm Gemeinsamkeiten erblickt und ihn für nichts anderes als einen harmlosen, eigenbrötlerischen Kauz gehalten zu haben. In Wirklichkeit hatte er sich jetzt endgültig als schäbiger Miesepeter entlarvt, als hämischer Arroganzling, der mit sadistischer Hartnäckigkeit nach den Schwächen seiner Mitmenschen bohrte, um sie zu erniedrigen.
Ich hatte keine Lust, mir von ihm irgendwelche Demütigungen bieten zu lassen. War ich nicht Herr auf Ashton Manor? Wenn ich es wollte, setzte meine Dienerschaft ihn vor die Tür, warf ihn hinaus in den Schlick der schottischen Einöde, wo er ohne den Beistand seiner alten Tanten verrecken müßte. Dennoch hielt ich aus Rücksicht auf unsere alte Freundschaft eine gewisse Konversation mehr oder weniger in Gang, soweit die Trunkenheit es mir gestattete. Ich konnte seinen gelegentlichen Äußerungen kaum noch folgen, und wenn ich darauf etwas entgegnete, hatte ich es Augenblicke später schon vergessen. Immer häufiger geriet ich ins Dösen. Irgendwann schwand mir, während ich mich mit einem Glas Whisky auf der Ottomane fläzte und noch einiges wirres Zeug daherschwafelte, die Besinnung.
Ich erwachte aus zwei Ursachen: infolge irgendwelcher Geräusche, die mich aufschreckten, so daß ich heftig zusammenzuckte, und des Klirrens, mit dem mein Glas auf den Parkettboden prallte. Das Klirren weckte mich vollends. Trüben Blicks stierte ich rundum.
Ich war allein in dem fast dunklen Zimmer. Nur der Lichtschein weit heruntergebrannter Kerzen flackerte und warf gespenstische Schatten auf Wände und Mobiliar. Grauen packte mich. Hatte Howard mich im Stich gelassen? Hatte ich mich eventuell dermaßen übel benommen, daß
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