Alptraumland
seit Jahrhunderten nicht mehr stand. Auf den Grundmauern dieser Burg war den Gerüchten zufolge unser momentaner Landsitz erbaut worden. Natürlich war das Bild eine Zeichnung. Ich sah eine finstere Trutzburg mit vier Türmen, von dunstigem Morgennebel umwabert. Merkwürdige Vögel umkreisten das Gemäuer; sie hatten eine vage Ähnlichkeit mit den garstigen Kreaturen aus meinen Alpträumen.
Ashton Castle gemahnte wirklich an die Atmosphäre eines Spukschlosses. Unter normalen Umständen hätte ich über diese Schlußfolgerung gelacht, aber nach den Ereignissen der letzten Monate konnte ich es nicht mehr. Ich war zu sehr zum Nervenbündel geworden.
Ich schaute mir noch einmal die Ausgaben mit den Todesanzeigen an. Über die Todesursachen der McCormicks fand ich keine Zeile. Da stand ganz lapidar, irgendein Mr. Sowieso McCormick sei ›abberufen‹ worden. Mein Gefühl sagte mir, daß hier irgend etwas nicht stimmte, etwas Geheimnisvolles über dem Tod dieser sechs Männer lag.
Es drängte mich, mehr über sie in Erfahrung zu bringen, und nach dem Lunch – ich verzehrte mit Riesenhunger ein paar nur angebratene, bluttriefende Steaks, das einzige Essen, nach dem ich noch echten Appetit verspürte – fuhr ich in Howards Begleitung mit dem Kraftwagen nach Glasgow. Mir war Angus Robertson eingefallen, der Bruder des dortigen Anwalts, der bei mir den Eindruck hinterlassen hatte, recht umfangreiche Kenntnisse über meine Familie und Ashton Manor zu haben.
Howard trug es mir nicht nach, daß ich mich an seinem Geburtstag betrunken und ihm außerdem durch die Ermordung meines Chauffeurs auch noch den ruhigen Studienabend in der Hausbibliothek verdorben hatte. »Die besonderen Umstände entschuldigen alles, mein Lieber«, sagte er in seiner etwas herablassenden Art. Mit gefalteten Händen saß er steif auf dem Beifahrersitz, behielt die Augen fast ausschließlich nach vorn gerichtet. »Ich erahne das Walten geheimnisvoller Kräfte. Wer weiß, was wir noch alles erleben?«
»Ich bemerke nur das Walten der Schurken in den umliegenden Käffern«, erwiderte ich, um ihn in seinen Gedankengängen nicht zu bestärken. »Diese Lumpen lauern mir vor dem eigenen Haus auf, stellen sich dumm, wenn ich mich beschwere, und wenn ich mich bei ihnen blicken lasse, fehlt wenig, und ich werde gelyncht … Ich muß herausfinden, was dahinter steckt, und ein für allemal reinen Tisch machen. Man kann mich doch nicht für die Greueltaten irgendwelcher Vorväter zur Verantwortung ziehen …!«
Aber insgeheim sah ich ein, er hatte recht. Hier ging es offenkundig um mehr als seit altersher eingefleischten Haß. Die Leute mußten einen Anlaß für ihr Einstellung haben; einen Grund, weshalb sie mich, mich persönlich verabscheuten. Sie wußten irgend etwas.
Und um ihnen ihre unsinnige Haltung auszureden, gab es nur einen Weg. Es galt in Erfahrung zu bringen, welcher abergläubische Humbug im Zusammenhang mit den Ashtons seit Generationen in ihren beschränkten Hirnen nistete.
An seinem Wohnsitz trafen wir Angus Robertson nicht an, doch erteilte mir sein Butler die Auskunft, wir könnten ihn in der Kanzlei seines Bruders erreichen. Robertson war nicht schlecht erstaunt, als wir ihn dort aufsuchten.
»Gibt es Probleme, Mr. Ashton?« fragte er, nachdem er uns in einen kleinen Salon gebeten und wir Platz genommen hatten. »Haben McGilligans Leute nicht zu Ihrer Zufriedenheit gearbeitet?«
»Nein, nein«, entgegnete ich. »Mein Besuch hat eine andere Bewandtnis, Mr. Robertson. Als Sie mit McGilligan und Ihrem Bruder auf Ashton Manor waren … Erinnern Sie sich noch an mein Erstaunen, als Sie erwähnten, unsere Familie sei schon vor Jahrhunderten in dieser Gegend ansässig gewesen?«
Angus Robertson nickte. »Aber gewiß …«
»Tja«, fügte ich hinzu, »und inzwischen habe ich beschlossen, ein wenig Ahnenforschung zu betreiben. Allem Anschein nach hat es in unserer Familie einige mysteriöse Dinge gegeben, über die ich mir nicht im klaren bin. Sie hingegen sind anscheinend besser als ich über die Ashtons informiert.«
Robertson lächelte bescheiden. »Ich interessiere mich lediglich ein wenig für die historische Entwicklung des Landstriches, in dem Sie leben, Mr. Ashton. Ich bitte Sie, meine Kenntnisse nicht zu überschätzen.«
»Kann ich auf Ihre Unterstützung hoffen?« fragte ich. »Aber natürlich, Sir.« Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich erzählte ihm, was ich seit der Übernahme Ashton Manors in den umliegenden Ortschaften erlebt
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