Alptraumland
bereitstehendes Automobil. Als ich auf dem Rücksitz lag, glitt mein Bewußtsein in andere psychische Zonen. Um mich wurde es Nacht. Wie ein Volltrunkener torkelte ich durch gelbbraune Nebelschwaden, durch eine Stadt, die gar nicht existieren konnte. Ich suchte nach meinen irgendwo zwischen den bröckelnden Gemäuern verschollenen Ich. Ich hörte Musik. Nichtmenschliche, garstige Töne aus unirdischen Blasinstrumenten, die meinen Trommelfellen zusetzten und bei mir spasmisches Zucken hervorrief.
Ein nie gekanntes Lüstern nach dem Unbekanntem wallte in mir auf und schien mein Innerstes mit unstillbarer Gier zu sengen. Ich sah geborstene Türme und aufgerissene Straßen; und sieche Gestalten, die mit knöchernen Fingern am Straßenrand saßen und mit hohlen Stimmen unverständliche Worte vor sich hinredeten. Ich versuchte zu erkennen, was sich in den schwarzen Augenhöhlen der Schar Idioten verbarg, die auf ihren eigenen Ausscheidungen hockten und mit verrußten Armen winkten, doch es war zwecklos. Die Stadt war ein Alptraum, ein Chaos, eine Mischung aus Mittelalter und Gegenwart; ein Schauplatz der Verzweiflung, der Greuel und der Blutbäder. »Ngah … rrrlla … ungl … ungl …« röchelte ein Monstrum mit klaffenden Augenhöhlen und schwarzen Zähnen. Es stapfte mit ausgebreiteten Annen auf mich zu, als wollte es einen Freund begrüßen. Ich wandte mich ab, verweigerte jeden Umgang mit dem Scheusal. Dann erschien über mir plötzlich Redgraves Gesicht. Seine Hand fuhr über meine Stirn, als hätte er vor, mich zu beruhigen.
Ich starrte seine Finger an. Sie glichen Schlangen, deren gespaltete Zungen über meine Haut …
Dann war schlagartig alles ganz anders. Ich befand mich in einem Theatersaal. Ring um mich herrschte Schwärze. Die Sitzreihen waren leer, ausgenommen der Platz, auf dem ich saß. Die Bühne lag in verwaschenem Halbdunkel. Nur stellenweise schufen Schlaglichter unsichtbarer Scheinwerfern Helligkeit. Zwölf vermummte Gestalten saßen reglos hinter einem langen Tisch – wie ein Kollegium von Richtern, das über einen Angeklagten zu befinden hat.
Ich wollte schreien, doch meine Stimmbänder verweigerten mir den Gehorsam.
Meine Zunge war wie gelähmt, ich spürte, daß heiße, salzige Tränen über meine Wangen liefen. Und ich verstand: Hier sollte wirklich eine Verhandlung stattfinden. Ich war der Angeschuldigte. Ich wollte mich erheben und meine Unschuld beteuern, doch alle Kraft hatte mich verlassen. Haltlos weinte ich vor mich hin. Ich zweifelte nicht mehr daran, daß mich der Wahnsinn mit allen seinen scheußlichen Erscheinungen überwältigt hatte.
»Du hast das Gedächtnis deiner Rasse, doch du mißachtest die Zeichen der Vergangenheit«, dröhnte eine hohle Stimme, deren Lautstärke den Saal mühelos durchdrang. Ich konnte nicht erkennen, welcher der zwölf Vermummten den Vorwurf erhob. »Willst du dich deiner Pflicht entziehen? Empfindest du nicht das Verlangen, dein Erbe anzutreten?«
»Laßt … mich … in Ruhe«, brachte ich unter größter Anstrengung hervor. »Ich bin unschuldig. Ich habe nichts getan.«
Die Vermummten steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Die Laute, die sie ausstießen, erinnerten mich an das Zischen bösartiger Giftschlangen. Wieder der eigentümliche Geruch. Tod und Verwesung. Es mußten die Vermummten sein, die den abscheulichen Gestank ausströmten.
»Wir haben dir Zeichen gegeben«, sagte eine andere Stimme. »Du hattest Zeit, um dich zu entscheiden. Nun gedenken wir nicht mehr zu warten.«
Die Worte klangen nach Unabwendbarem. Was hatten diese Wesen mit mir vor? Konnte man meine Qualen noch steigern?
Die Vermummten nahmen die Kapuzen ab und traten näher. Abgesehen vom Körperbau hatten diese gräßlichen Geschöpfe nicht Menschliches an sich. Ihre Schädel ähnelten verrotteten Totenmasken; doch am schlimmsten war, daß aus ihren Schlünden ellenlange Schlangen ragten, die mich mit kalten, starren Augen musterten. Sie kamen näher, und ich schrie, schrie, schrie.
Bevor sie mich erreichten, gewann ich die Gewalt über meinen Körper zurück, ich fuhr empor und rannte durch die Sitzreihen. Ein widerwärtiges Zischen und Miauen tönte mir in die Ohren. In panischem Entsetzen suchte ich einen Ausgang. Zu spät begriff ich, daß es keinen gab.
Ich stürzte zur Bühne und wehrte eine Klauenhand ab, die meinen Ärmel packte. Ich sprang mit aller Kraft, die mir der Mut der Verzweiflung verlieh, auf die Bühne und trat der widerlichen Kreatur, die
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