Alptraumland
hatte. Ich erwähnte die fürchterlichen Alpträume, die ich meiner Meinung nach den mutmaßlichen Untaten Onkel Stephens verdankte, und alles, was ich von Keith erfahren hatte – daß meine Ahnen Anhänger eines Kultes gewesen seien, der Menschenopfer dargebracht hätte. Und daß ich befürchtete, mein Wissen könne mich allmählich in den Wahnsinn treiben. Natürlich verschwieg ich den Fund, den ich im Keller meines Besitzes gemacht hatte und ließ auch das Album mit den Zeitungsausschnitten unerwähnt, die von den vielen Vermißten und Toten berichteten.
»Mr. Lovecraft ist ein treuer Freund«, stellte ich zum Schluß klar. »Sie können in seiner Gegenwart getrost alles mit meiner Familie Zusammenhängende offen aussprechen. Er ist gewissermaßen Experte für Mysterien« – ich hatte das Empfinden, daß mein Schmunzeln reichlich schief ausfiel – »und wird mir bei meinen Nachforschungen zur Hand gehen.«
»Zumindest will ich mein Bestes versuchen«, sagte Howard mit der ihm eigentümlichen, hochnäsigen Bescheidenheit. Angus Robertson nickte. »Sie sind zweifelsohne ein empfindsamer Mensch, Mr. Ashton«, sagte Robertson, nachdem ich ihm mein Herz ausgeschüttet hatte, »aber das ist in Ihrem Beruf wohl auch eine Voraussetzung.« Er zündete sich eine dünne Zigarre an. »Aber ich kann Sie beruhigen, Sir. Wer Kenntnisse über die Geschichte des Mittelalters hat, weiß ja, daß in der damaligen Epoche jeder dritte oder vierte Edelmann heimlich einem heidnischen Kult angehörte. Möglicherweise ist Ihr Onkel auf Quellen gestoßen – bei der Größe der Bibliothek von Ashton Manor würde es mich nicht verwundern –, denen er entnommen hat, was einst im Hause Ihrer Ahnen geschah. Vielleicht hat er, selbstverständlich nur aus purem geschichtlichen Interesse, einen Versuch gemacht, diese Vergangenheit so gewissenhaft wie möglich zu rekonstruieren. Das dürfte wohl auch der Grund für das Vorhandensein seiner umfangreichen Büchersammlung über okkulte Themen sein.« Er legte eine kurze Pause ein und maß mich mit einem vorsichtigen Blick, als hätte er noch eine Erklärung auf Lager, die er sich jedoch nicht auszusprechen traute.
»Denkbar wäre allerdings auch«, fügte er dann hinzu, »daß er unter einem … inneren Zwang stand, diese alten Riten nachzuvollziehen … Um sich darüber klarzuwerden, könnte man sich vorstellen, welche Motive seine Ahnen dazu brachten, sich mit derlei Sachen abzugeben.«
Robertson hielt Onkel Stephen offenbar für einen Menschen, den das Interesse an okkulten Dingen zu leicht absonderlichen Experimenten verleitet hatte. Aber weil ich mehr als er wußte, überzeugte mich seine Erklärung nicht so recht.
»Erzählen Sie mir«, bat ich, »was Sie Genaues über uns Ashtons und die McCormicks wissen.«
Robertson zuckte die Achseln. »Wenig. Was Sie von dem jungen Storm gehört haben, entspricht wahrscheinlich der Wahrheit. Was mir bekannt ist, weiß ich von meinem verstorbenen Vater. Ihren Onkel, der erste Ashton, für den unsere Kanzlei tätig war, habe ich persönlich nur zwei- oder dreimal hier im Hause gesehen. Aber damals war ich, wie mein Bruder, noch Student und hatte keine Gelegenheit, ein Gespräch mit ihm zu führen.«
»Welchen Eindruck hatten Sie von ihm?«
»Ich hielt ihn, bei allem Respekt, Sir, für einen finsteren, verschlossenen Menschen, für einen Mann, der Geheimnisse hat und sie zu wahren versteht. Die anonyme Anschuldigung wegen des 1910 verschwundenen Mädchens scheint ihn tief getroffen zu haben. Ich erinnere mich, daß mein Vater in seinem Auftrag Briefe an verschiedene Personen in Skelmerhe und Fulham Largs schicken mußte, in denen er allen, die weiterhin Gerüchte über ihn verbreiteten, mit gerichtlichen Maßnahmen drohte.«
»Wissen Sie, wer die Empfänger dieser Briefe waren?«
»Nein.« Robertson schüttelte den Kopf. »Aber ich könnte es binnen kurzem herausfinden. Kopien sämtlicher Schreiben, die die Kanzlei verlassen, müssen sich im Archiv befinden.«
»Ich mache mir große Sorgen wegen der Feindseligkeit der in der Umgebung ansässigen Bauern und Dörfler«, sagte ich. »Sobald ich meinen Namen nenne, werde ich beschimpft oder sogar tätlich angegriffen. In Skelmerhe hat mich der Wirt einer Taverne als Gu … Gu …« Ich gab mir alle Mühe, das Wort nachzubilden, aber es gelang mir nicht. »Ich habe das Wort nicht verstanden, aber in meinen Ohren klang es … einfach schrecklich.«
Robertson warf einen prüfenden Blick auf die
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