Alptraumland
Wesen von der Größe eines Menschen, mit verfilztem Haar und der Gestalt eines Reptils, trat aus dem Dunst und gab mir mit Zeichen zu verstehen, ich solle ihm folgen. Furcht und Ekel erfaßten mich, als ich das widerliche Monstrum erblickte. Seine gespaltene Zunge fuhr genüßlich über ein schuppiges Kinn. Es war tausendmal häßlicher als alles, was ich je gesehen hatte. Ich tauchte in bodenlose, von unerklärlichem grünen Zwielicht getönte Abgründe ein, deren Beschaffenheit ich nicht einmal erahnen, geschweige denn erklären konnte.
Ich ging nicht. Ich flog nicht. Auch schwamm oder kroch ich nicht, aber ich war mir dessen bewußt, daß ich mich ständig auf ein bestimmtes Ziel zubewegte. Vor mir ragte eine schwarze Kathedrale in die Höhe. Ein gewaltiger Felsdom aus massivem Gestein umgab sie.
Ich sah Scharen quietschender Fledermäuse. Raben kreisten unter dem Felsdom. Neben dem mächtigen Eingangsportal lagen meterhoch Knochen aufgeschichtet. Ich erkannte mit einem Blick, daß es sich um ein Gemisch aus menschlichen und tierischen Gebeinen handelte.
Merkwürdigerweise befiel mich kein Grauen. Eine Herde von Schweinen stürmte unter schrillen Gequieke aus der Kathedrale hervor, verfolgt von einem Wolfsrudel, das sich mit schnappenden Kiefern auf die Nachzügler stürzte. Die Wölfe zerrissen die Tiere in rasender Schnelligkeit. Da erschien der vermummte Hirt. Er fuhr mit einem langen Knüppel zwischen die Wölfe, drosch auf sie ein, bis sie mit eingezogener Rute von ihren Opfern abließen und sich unter Geheul des Mißmuts zerstreuten.
Gestalten undefinierbarer Wesen im Nebel. Ich vernahm ihre nichtmenschlichen Laute, ein wirres Chaos, das über die Abgründe hinweghallte und sich hinsichtlich der Klangfarben und des Rhythmus jeder Deutung entzog. Strudelnd teilten sich graue Nebelbänke. Inmitten eines stinkigen, kochendheißen, mit diabolischen Formen kleinen Krabbelgetiers erfüllten Pfuhls entdeckte ich das doppelzüngige Reptil. Gierigstes Verlangen sprach aus seinem Echsengesicht. In seinem Maul glänzten Reihen scharfer Zähne, die mich an das Gebiß wilder Hunde erinnerten.
»Ngaya al-ftaghn …« knurrte es, während seine teuflischen Klauen einen herrischen Wink vollführten. In dem Pfuhl setzten die Krabbelviecher sich in Bewegung. Skorpione krochen aus dem Schlamm und eilten mit erhobenen Giftstacheln auf mich zu …
Dieses Mal erwachte ich, ohne in Schweiß gebadet zu sein, und seltsamerweise fühlte ich mich wesentlich wohler.
Als ich in den Spiegel schaute, sah ich, daß die dicken Tränensäcke, die sich unter meinen Augen gebildet hatten, verschwunden waren; auch meine Blässe war gewichen. Ich wirkte wahrhaftig ziemlich frisch und ausgeschlafen.
Redgrave bemerkte die Veränderung sofort.
»Sie sehen erholt aus«, stellte er fest. »Hat die Spritze Ihnen geholfen?«
Ich beschrieb ihm meinen Alptraum. Der Umstand, daß er mich diesmal weder in Grausen versetzt, noch meine Nerven angegriffen hatte, beruhigte Dr. Redgrave genauso wie mich selbst.
»Der Traum lief ab wie ein Film«, erklärte ich. »Eine vollkommene Illusion, würde ich sagen.«
Howard hatte dazu seine eigene Ansicht. »Du müßtest wieder als Autor arbeiten, Roderick, sobald deine Genesung abgeschlossen ist«, empfahl er mir. »Du solltest deine Alpträume literarisch verwerten. In gewisser Hinsicht ist das genau die Weise, wie jeder wahrlich begabte Schriftsteller seiner Tätigkeit nachgeht.«
»Du mußt ja wissen«, antwortete ich ironisch, »wovon du sprichst.«
Howard blieb vollständig ernst. »Ja«, sagte er, ohne die Miene zu verziehen. »Ich weiß, wovon ich spreche.«
Einen Moment lang herrschte zwischen uns Schweigen. Dann lachten wir beide verlegen. Nach dem Frühstück, bei dem ich mit Bärenhunger reichlich Roastbeef aß, waren wir sogar regelrecht heiterer Laune und stellten die Ausrüstung für unseren Vorstoß zwischen Ashton Manors Grundmauern zusammen. Was mochten wir drunten, fragte ich mich, wohl finden? Mit einem Mal kam mir alles irgendwie lächerlich vor. Gewiß, die gespenstische Umgebung und die bösen Geschichten über meine Vorfahren und Onkel Stephen hatten mir ein paar Wochen lang das Leben schwergemacht. Ich war abgespannt gewesen und hatte unter dem Eindruck des unerwarteten Reichtums – nach langen Jahren des Von-der-Hand-in-den-Mund-Lebens – die Geheimnisse Ashton Manors in mein Gemüt aufgesaugt. Wer wäre dadurch nicht ein wenig in Verwirrung geraten?
Redgrave hoffte, mich
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