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Alptraumland

Alptraumland

Titel: Alptraumland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Ronald M. und Pukallus Hahn
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blutigen Begierden sind.«
    »Gütiger Himmel«, ächzte Howard gequält. »Gütiger Himmel …«
    Ich hörte ihnen nicht zu. In mir wuchs das Verlangen, mehr über den Kult, meine Ahnen und die Grotte zu erfahren. Mit schnellen Schritten strebte ich voran und suchte nach weiteren Zeugnissen der Vergangenheit. Vor dem Tor der Kathedrale versperrten wahre Berge menschlicher Knochen uns den Zugang.
    »Sie sind in alle Winde zerstreut«, schwafelte Redgrave. »Die Überlebenden dieser Greuel haben sich wahrscheinlich gegenseitig verspeist. Ich nehme an, die Herren sind irgendwann, wahrscheinlich von einem auf den anderen Tag, nicht mehr erschienen. Vielleicht hat ein Krieg sie zu den Waffen gerufen, oder ein Angriff auf die Feste hat sie zu lange in Atem gehalten. Jedenfalls bekamen ihre Gefangenen keine Mastnahrung mehr und waren bald dazu gezwungen, ebenso zu verfahren wie ihre Peiniger.«
    Ich wußte, daß er recht hatte. Ich konnte mir ausmalen, wie es für die Gefangenen geendet hatte. Die Eisentür, die ihnen den Weg ins Freie verwehrte, die Tür, durch die ihre Nahrung kam, war nicht mehr geöffnet worden. Tage-, wochen-, monatelang nicht. Wahrscheinlich hatten sie versucht, sie mit bloßen Händen zu öffnen. Sie hatten am Eisen gekratzt und sich die Fingernägel abgebrochen, sich daran die Handballen blutig geschlagen. Doch niemand hatte sich um sie gekümmert. Nie wieder kehrte jemand in die Tiefe zurück. Vielleicht war die Feste gestürmt worden, und die Ashtons hatten ihren Besitz fliehen müssen.
    Howard entdeckte eine Reihe niedriger Käfige mit Skeletten von Tieren.
    »Schweine«, äußerte Redgrave. »Vermutlich waren sie die Nahrung der Eingemauerten. Es muß schrecklich sein, zu verhungern, während man die Nahrung zum Greifen nah vor Augen hat.«
    Ich dachte an den vermummten Schweinehirten aus meinen Träumen und stellte mir vor, wie die ausgemergelten Gestalten die Hände nach den Schweinen ausgestreckt hatten, obwohl sie wußten, daß sie sie durch die engen Gitter niemals zu fassen bekommen konnten. »Es kann nichts schlimmeres geben«, sagte ich, »als während des Verhungerns mitanzusehen, wie Schweine in einem Käfig ebenfalls an Nahrungsmangel verenden.« Keiner der beiden Männer gab mir eine Antwort. Wir unterzogen die Tür der Kathedrale einer näheren Betrachtung. Sie war aus festem Holz und mit eisernen Scharnieren versehen.
    In meinem Innern toste ein geradezu grotesker Gefühlswirrwarr. Immerzu wollte irgend etwas mich zum Lachen verleiten, obschon sich hier wahrlich kein Anlaß zur Belustigung bot. Einerseits erschreckte mich dieser unbegreifliche, peinliche Drang zu verfehlter Heiterkeit; doch andererseits steigerte sich in mir von Minute zu Minute eine Aufwallung regelrechten Entzückens. Alles Entsetzliche hier unten entsetzte mich, aber gleichzeitig erfüllte es mich mit der wohligen Erregung verbotenen Sinnenkitzels.
    Plötzlich verschwamm vor meinen Augen die Umgebung. Grausige Furcht verdrängte meinen Überschwang. Da war etwas … Etwas Großes und Mächtiges …
    Eine Stimme?
    »Howard«, keuchte ich ins Düstere.
    »Ja?« Howards Zähne klapperten jetzt ununterbrochen.
    Sofort verflog die Anwandlung der Furcht. Ich stellte mir wie unter hypnotischem Zwang vor, wie meine Vorfahren hier gehaust hatten – abartige Anhänger eines teuflischen Kultes. Irgendwann im finsteren Mittelalter, als sie ihre Riten nicht mehr in der Öffentlichkeit der Festung veranstalten konnten, hatten sie die Grotte entdeckt und ausgebaut. Hier hatten sie mit der Arbeitskraft zahlloser Entführter eine okkulte Hinrichtungsstätte errichtet. All jene, die die schwarze Kathedrale erbaut hatten – vermutlich Leibeigene, die sie gewaltsam hatten herschleppen lassen –, waren ihren Herren nach getaner Arbeit zum Oper gefallen; zum Dank von ihnen verspeist worden.
    Ich schauderte, als ich daran dachte, wie sie bei Fackelschein, Trommelgedröhn und unmenschlichen Gesängen durch das Gewölbe getobt und ihren abscheulichen Gelüsten frönten. Wie viele Menschen hatten ihre blutigen Mörderhände geschändet und getötet? Tausende? Zehntausende? Die meterhohen Knochenhalden erlaubten keine auch nur annähernde Schätzung.
    Eine viehische Horde hatte sich unter höllischem Gelächter an den Leiden ihrer Gefangenen ergötzt. Vielleicht hatten sie auch wilde Tiere auf sie gehetzt, ähnlich wie die alten römischen Cäsaren. Mir war, als eröffnete sich mir eine andere Welt. Ich durchschaute jetzt all das, was

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