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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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hinaus. Sein Blick ging dort über Gärten in der Abendsonne bis zum Bahndamm. Und Christas Vorwurf, daß er sie vergessen hätte, stimmte nicht. Was war das eigentlich für ihn? Eine himmelstürmende Verliebtheit? Er schüttelte nachdenklich den Kopf. Eine ziehende Sehnsucht, wie man es in manchen Romanen lesen konnte, auch nicht.
    Und was war mit Christa? Da gab es vor allem die große Entfernung... Das Wasser ist sehr tief, sagte er sich, wenn ich in den Westen abhaue. Wie war das eigentlich? Alles nur ein Zufall? Damals seine Fahrt zur Herbstmesse nach Leipzig. Er war fast sechzehn, hatte gerade im Revier Chransdorf angefangen und vom Kreisforstamt drei Tage frei bekommen für diesen Messebesuch. Er fand es damals schon erstaunlich, daß man ihm die Fahrt genehmigte, war es ihm doch letztlich nur um eine Vergnügungsreise gegangen. Im Kreisforstamt sah man darin wohl so etwas wie eine politische Bildungsreise. Auf ihre Messe hielten die Genossen nämlich große Stücke. Jedenfalls kam er so zum notwendigen Messeausweis, den man sich nicht etwa einfach kaufen konnte.
    Mit dem Handkoffer seiner Großmutter war er dann per Eilzug in Leipzigs Hauptbahnhof eingetroffen und hatte sich über angebrachte Hinweisschilder zur Privatzimmervermittlung durchgefunden. Der Bahnhof war teilweise noch eine Kriegsruine. Die Frau hinter einer Art von Tresen suchte auf seine Frage nach einer Unterkunft in einem Kasten voller Kärtchen, nachdem sie vorher hatte wissen wollen, ob er offizieller Messebesucher sei. Schließlich mußte er seinen Personalausweis sowie den Messeausweis vorlegen.
    Dann wurde ihm als Quartier die Gutsmuthsstraße genannt, Gutsmuthsstraße 27 bei Frau Gertrud Richter. Wie komme ich dorthin hatte er überlegt, als er aus der hohen Bahnhofshalle auf den Vorplatz trat und in ein helles, graues Licht blinzelte. Die eingeborenen Leipziger würden ja wohl wissen, wo die Straße zu finden war. Einen Stadtplan hatte er nirgendwo im Bahnhof entdecken können, hatte das aber auch gar nicht erwartet. Wahrscheinlich gab es in ganz Leipzig keinen, der öffentlich zugänglich war. Eine ältere Frau konnte ihm schließlich die Richtung sagen. „Mit jungen Beinen“, hatte sie gemeint, indem sie ihn von oben bis unten musterte, „eine Viertelstunde, zwanzig Minuten.“
    Und so stand er dann auch bald vor dem grauen vierstöckigen Gebäude. Die Nummer 27 prangte an einem Emailleschild auf einem schweren Tor, dessen rostrote Farbe vielfach abgeblättert war. Durch eine kleinere Tür in diesem Tor gelangte er in einen langen, düsteren Gang, der auf einen engen Hof führte. Von diesem Durchgang aus gelangte er in ein Treppenhaus, das nach Keller roch und fast völlig dunkel war. Ein grünlich schimmernder Phosphorstreifen gleich am Eingang an der Wand zeigte schließlich einen Lichtschalter an, ohne dessen Betätigung er Frau Gertrud Richters Wohnungsschild ganz oben im vierten Stock nur schlecht hätte finden können. Etwas Tageslicht fiel zwar von ganz oben im Dach durch verstaubte Scheiben in den Treppenschacht, in dem noch Pfeile an der Wand zu den Luftschutzräumen wiesen. Sebastian fand es ulkig, daß ihm so viele Einzelheiten einfielen, wenn er an diesen Tag zurückdachte, an dem er Christa kennengelernt hatte.
    Zum Beispiel erinnerte er sich deutlich an den blanken Messinggriff unter dem Namensschild, der einen Löwenkopf darstellte und den er anhob, um sogleich hinter der Wohnungstür ein schnarrendes Klingelgeräusch zu vernehmen. Eine Frau in blauer Kittelschürze öffnete und sah ihn lächelnd an, nachdem er erklärt hatte, daß er von der Zimmervermittlung am Bahnhof käme. „Sebastian Sebaldt“, sagte er und lächelte zurück. Sie bat ihn in die Wohnung und zeigte ihm sein Zimmer, einfach eingerichtet mit Bett, Schrank, Stuhl, Tisch und Waschtisch mit Steingutschüssel, Wasserkanne, Handtuch und Seife.... Daran erinnerte er sich, auch an den bunten Bettvorleger und an den Blick aus dem Mansardenfenster auf die Dächer ringsum. Den engen Hof konnte er von dort oben aus gar nicht einsehen. Er wusch sich Gesicht und Hände und trocknete sich eben ab, als es klopfte.
    „Herein“, rief er, das Tuch noch in der Hand und stand einem großen Mädchen gegenüber, das ihn erst anblickte, dann zu Boden sah und dabei rasch die Einladung seiner Mutter zu einer Tasse Kaffee ausrichtete. Er erinnerte sich genau, daß sich ihr Gesicht gerötet hatte, bevor sie sich zum Gehen wandte. Weshalb eigentlich? Hatte er sie

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