Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
womöglich angestarrt, denn schließlich hatte er die freundliche Hausfrau erwartet, als es an die Zimmertür klopfte.
Im Wohnzimmer sah er sie dann wieder, Christa, wie seine Zimmerwirtin sie ihm vorstellte, ihre jüngste Tochter. Ein runder Tisch in der Mitte des Zimmers war für drei Personen gedeckt. An zwei Sorten Kuchen auf einer Glas- oder Kristallplatte konnte Sebastian sich erinnern – gedeckter Apfelkuchen und Pflaumenkuchen sächsisch, wie seine Wirtin dazu sagte. Es gab echten Bohnenkaffee, dessen Duft er schon bis in sein Zimmer hinein erschnuppert hatte. Und Bohnenkaffee war ja nun mal alles andere als ein übliches Getränk.
Er dachte da an seine Mutter, die ihre Bohnen aus einem Westpaket andächtig in die Kaffeemühle zählte. Als ihm aus der bauchigen Porzellankanne mit dem bunten Tropfenfänger an der Tülle die Tasse gefüllt wurde, mußte er wohl anerkennend dreingeblickt haben. Ein Lächeln huschte über Frau Richters Gesicht. „Von meinem Mann“, sagte sie, „aus dem Rheinland.“
Auch abgehauen? Dieser Gedanke schoß Sebastian durch den Kopf. Er amüsierte sich innerlich, obwohl er natürlich nicht danach fragte. Frau Richter fuhr entschlossen mit dem Tortenheber unter ein Stück Pflaumenkuchen, um es Sebastian auf den Teller zu legen. Der Kuchen schmeckte ihm und war ja auch nichts Selbstverständliches bei der noch immer herrschenden Lebensmittelknappheit. Wie er später von Christa erfuhr, hatten Geburtstagsgäste ihrer Mutter diesen Kuchen übrig gelassen.
Seinen Messerundgang verschob Sebastian kurz entschlossen auf den nächsten Tag, als Frau Richter eine Flasche bulgarischen Rotwein auf den Tisch stellte. Er erzählte dann von sich, seinen Eltern und Geschwistern, auch vom Hund, einer Art Wolfsspitz, sprach er, den seine Schwester im schlimmen Winter 46/47 anderen Kindern weggenommen hatte, die ihn, noch nicht ausgewachsen, vor einen Rodelschlitten zu spannen versucht hatten.
„Der Hund gehörte niemandem“, sagte er, „keiner wußte, woher er kam. Kaum in der Wohnung fraß er die Pellkartoffelschalen weg, die für die Ziege gedacht waren. Der arme Kerl war halb verhungert.“
Während Sebastian bereits das dritte Glas Wein trank, wurde Christa von ihrer Mutter nicht mehr als eine Tasse Kaffee zugestanden. „Mit dreizehn“, sagte die Mutter, „habe ich nicht mal an Bohnenkaffee riechen dürfen.“
„Ich werde in drei Wochen vierzehn“, widersprach die Tochter.
„Dreizehn oder vierzehn...“, die Mutter winkte ab.
„So lange ist das ja bei mir auch noch nicht her“, versuchte Sebastian zu relativieren. „Bohnenkaffee kann doch so schädlich nicht sein. Es steht ja nicht fest, von welchem Alter an jemand Kaffee trinken darf. Kleine Kinder sicherlich nicht. Aber Christa ist ja nun nicht gerade klein.“
Daraufhin schob diese ihrer Mutter grinsend die Kaffeetasse entgegen. Die hob die Schultern und mit einem ironischen Blick zu Sebastian füllte sie die Tasse. Später schleppte Christa Brett- und Würfelspiele an, für die er sich eigentlich noch nie hatte begeistern können. Das sagte er natürlich nicht und so verstrich der Nachmittag schnell. Er hatte damals dort am Wohnzimmertisch mit Mutter und Tochter einen halben Tag vertrödelt und konnte nun das angebotene Abendessen eigentlich nicht ablehnen.
Die beiden Tage verflogen rasch . Früh, wenn Christa zur Schule ging, machte er sich auf den Weg zur Messe. Da gab es vieles zu sehen, unter anderem imposante Druckmaschinen, die in der DDR hergestellt und am Ausstellungsstand auch vorgeführt wurden. Am meisten aber zog ihn der Stand der Suhler Waffenfabriken an, Jagd- und Sportgewehre in den feinsten Ausführungen, von denen man kaum glauben konnte, daß sowas im Osten hergestellt wurde. Interessant fand Sebastian das damals, weil solche Waffen, außer in höchsten Genossenkreisen, niemand aus dem Volke je zu sehen bekam.
Er vertrieb sich dort einen großen Teil der Zeit. Und so ergab es sich, daß er die fein ziselierten Gewehre mit ihren geschnitzten Schäften und Kolben interessierten Besuchern letztendlich fachgerecht vorführen konnte, akzeptiert schließlich sogar vom Stammpersonal. In Erinnerung daran lachte er. Besucher hielten ihn damals offensichtlich für jemanden aus den Suhler Waffenfabriken.
Am Abend wurde dann wieder „Mensch-ärgere-dich-nicht“, Dame, Mühle oder Halma gespielt. Auch hatte er Christa einen Bildentwurf skizziert, den sie als Hausaufgabe für die Schule nachzeichnen konnte.
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