Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
kurz.
38.
„Eine etwas heikle Sache“, erklärte Hoffmann beim Treffen in einem Kudamm-Restaurant. Sie sollten überlegen, ob sie sich das zutrauten. Dabei sei es vielleicht ganz gut etwas Russisch zu beherrschen. Sie hätten doch Russisch in der Schule gehabt?
„Ich bin da nicht gut“, sagte Sebastian.
„Ich kann’s einigermaßen“, meldete sich Hans-Peter.
Hoffmann wandte sich ihm zu. „Es geht um einen sowjetischen Major“, erläuterte er, „einen mit den Verhältnissen sehr unzufriedenen Offizier, der schon mehrfach aufgefallen ist. Es ist also eilig. Im thüringischen Altenburg gibt es eine sowjetische Garnison und einen Flugplatz bei Altenburg-Nobitz. Dieser Major Nobakow, Alexander Nobakow, verkehrt dort häufig in einem Lokal ‘Zum grünen Baum’ oder so ähnlich. Es gibt dort in der Nähe nur dieses eine Lokal und eine etwa fünfundvierzigjährige dunkelhaarige Wirtin als einzige Frau. Allerdings ist es nicht leicht, unauffällig an diesen Major heranzukommen. Man muß davon ausgehen, daß er bereits beobachtet wird. So jungen Leuten“, und dazu sah Hoffmann die beiden Freunde an, „könnte das noch am ehesten gelingen. Und die Wirtin, die ist politisch okay. Außerdem spricht dieser Major auch leidlich deutsch. Es geht also darum, dem die Flucht nach West-Berlin zu organisieren. Viel Zeit haben wir wohl nicht mehr.“
„Und wie das?“ fragte Sebastian verblüfft.
„Die Wirtin des Lokals“, Hoffmann nannte keinen Namen, „wird Sie dabei unterstützen.“
„Woher wissen Sie das“
„Wir haben auch dort unsere Leute.“
„Und warum machen die das nicht?“
„Zu auffällig, viel zu auffällig“, sagte Hoffmann.
„Na, weiß wenigstens der Major davon?“
Hoffmann nickte. „Natürlich weiß er.“
„Ziemlich verrückt, das Ganze“, meinte Hans-Peter und schüttelte den Kopf.
Hoffmann hob kurz die Schultern. „Etwas verrückt ist sowas immer.“
„Und wir sollen das machen?“
„Sie sollen nicht, sie können. Für Zivilkleidung ist gesorgt und genügend Geld, vor allem für Taxen, bekommen Sie mit, das geht so am schnellsten.“
„Ja, aber Taxen, die sind im Osten in ihrem Radius begrenzt“, warf Sebastian ein.
„Das weiß ich“, sagte Hoffmann. „Man muß eben umsteigen.“
„Das könnte verdammt umständlich werden“, und Sebastian sah etwas bedenklich drein. „Wenn das Taxi in irgendeinem Kuhnest nicht mehr weiterfahren darf …?“
„Stellen Sie sich nicht so an!“ sagte Hoffmann mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Das muß man dem Fahrer eben vorher sagen. Der weiß schließlich, wo dann die nächsten Taxen stehen. Das ist doch nicht das Problem.“
„Ist das alles nicht sehr auffällig“, gab Hans-Peter zu bedenken, „wenn wir da mit so’nem Russen in Zivil durch die Gegend fahren? Wann fahren schon mal drei Leute mit Taxen durch die halbe DDR?“
„Das liegt doch an Ihnen“, antwortete Hoffmann, „ob sowas besonders auffällig wird. Wenn Sie sich auffällig verhalten, dann ist es auch auffällig.“
Schließlich erklärten sich die beiden bereit nach Altenburg zu fahren. „Wir müssen den aber nicht überreden?“ fragte Sebastian.
Hoffmann schüttelte den Kopf.
„Der will also wirklich abhauen?“
Hoffmann nickte. „Klar will der weg“, sagte er, „sonst brauchten Sie ja nicht hinzufahren. Sie sollen den ja nicht entführen. Und außerdem weiß die Wirtin Bescheid. Bestellen Sie einen Gruß von Eberhard aus Berlin, das reicht. Sie hat Kontakt zum Major.“
Als sie dann im D-Zug nach Lübbenau in einem leeren Abteil saßen und zum Fenster hinaus in die ihnen nun schon vertraute Landschaft mit ihren Wiesen, Feldern und Kiefernwäldern sahen, erklärte Sebastian ohne den Blick von der Landschaft zu wenden, „der Weg nach Karaganda ist nicht weit, wenn da was schief geht.“
„Ist ja noch gar nicht raus“, erwiderte Hans-Peter, „ob da überhaupt was geht.“
Am Nachmittag waren sie nach Berlin gefahren, jetzt war es Abend. Mit der Dämmerung stieg draußen an manchen Stellen auch Nebel auf.
„Ich wäre gerne noch ins Kino gegangen“, erklärte Hans-Peter.
„Ich auch“, stimmte Sebastian zu.
Das war ein Vergnügen, das sie sich mit ihren DDR-Personalausweisen für Ostgeld leisten konnten, in den Kudamm-Kinos etwa und ganz billig in den Grenzkinos am Potsdamer Platz zum Beispiel. Die befanden sich dort, speziell für Ostbesucher, sehr einfach und provisorisch in heil gebliebenen Räumen irgendwelcher Ruinen. Aber
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