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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Für seine Zeichenkünste hatte er ihre ungeteilte Bewunderung erhalten. Das hatte ihm damals natürlich geschmeichelt, gestand er sich ein. Er war dann allerdings ehrlich verwirrt, als Frau Richter ihm am Tage seiner Abreise etwas ratlos erzählte, daß Christa geweint hätte, als sie morgens zur Schule aufbrach.
    „Weshalb denn?“
    „Na, weil Sie abreisen. Das kenne ich von meiner Tochter gar nicht.“
    Sebastian fühlte sich gerührt, geschmeichelt, aber auch etwas peinlich berührt. Noch zwei Tage, hatte er damals überlegt, warum eigentlich nicht? Da würden die zu Hause doch sicher nicht gleich ausflippen. „Ich könnte schon noch ein, zwei Tage bleiben, falls Ihnen das nichts ausmacht“, wandte er sich an die Hausfrau.
    „Mir? Nein, nein, wirklich nicht und das Kind würde sich freuen“, erklärte sie.

    Wer so ohne eigentliches Verdienst wertgeschätzt wird, der kann ja schon gar nicht mehr nein sagen. Seine Stimmung hatte sich in dem Maße gehoben, wie es ihm gelungen war seine Eigenmächtigkeit zu bagatellisieren. Telefonieren? Wer hatte schon Telefon? Zu Hause hatten sie keins. Die Nummer des Forstamts? Lieber keine schlafenden Hunde wecken. Und was sind schon zwei Tage?! Doch untergründig war ihm schon bewußt, daß er hier wohl Sorgen leichtfertig ignorierte, wenn er auf diese Weise verschollen blieb.
    Und auch rückblickend erinnerte er sich jetzt, daß ein starker Impuls ihn bewegt hatte, die beiden Tage an diesen merkwürdigen Messebesuch anzuhängen und das gegen alle inneren Stimmen der sogenannten Vernunft. War so was Verliebtheit, fragte er sich nun. Hans-Peter hatte das Ganze später als Kindergartenkram abgetan, obwohl er selbst gar keine Freundin hatte. „Das ist doch nur ein Schulkind.“ Und auf die Vorhaltung: „Du doch auch!“ hatte er bloß gelacht.
    Und so blieb Sebastian damals in Leipzig, trieb sich am nächsten Tag in den Messehallen herum und landete dann bald wieder am Jagdwaffenstand. Die Besatzung dort begrüßte ihn bereits. Das metallische Klicken beim sachkundigen Zusammensetzen der von ihm zuvor zerlegten Büchsen und Flinten genoß er. Viele Besucher schoben sich im Gedränge am Stand vorbei. Manche blieben stehen und ließen sich verschiedene Gewehre zeigen.
    Es war ihm damals aufgefallen, daß gerade Westdeutsche viel öfter am Suhler Stand Halt machten als Ostdeutsche. Im Westen, so hatte er sich das seinerzeit erklärt, gab es ja bereits wieder Jäger und Förster, die sich solche Waffen kaufen durften, im Gegensatz zu den Menschen im Osten. Hier, das wußte Sebastian gut, umgab alle Waffen in Zivilistenhand noch immer der Ruch des Verbotenen, des Unmoralischen und Kriegslüsternen, obwohl seit einiger Zeit schon in der Gesellschaft für Sport und Technik unter Polizeiaufsicht mit Kleinkalibergewehren wieder auf Scheiben geschossen werden durfte und auf Rummelplätzen bereits erste Schießbuden eröffnet hatten.
    Die Besucher aus dem Westen waren leicht zu erkennen an Sprache und Mimik, sie erschienen einfach fröhlicher, ganz abgesehen von der besseren Kleidung. Aber auch die Cottbusser volkseigene Textilindustrie stellte ganz in der Nähe des Jagdwaffenstandes sehr schicke Sport- und Jagdbekleidung aus. In der ganzen DDR war davon jedoch nie etwas zu finden, nicht mal in der HO. Kaum zu glauben, so empfand Sebastian es damals, daß hier so etwas überhaupt hergestellt wurde. Und die, die es herstellen, erklärte er sich, haben davon nichts.
    Am Tag seiner endgültig beschlossenen Abreise klingelte es gegen Mittag an Richters Wohnungstür. Christa war gerade aus der Schule gekommen und Sebastian aus den Messehallen zurück. Sie saßen am Wohnzimmertisch. Christas Mutter verschwand im Flur, um zu öffnen und Sebastian erkannte erschrocken die Stimme seines Vaters und wäre am liebsten gar nicht da gewesen. Nun wurde er wie ein Ausreißer abgeholt und den Wirbel, den er mit seiner eigenmächtigen Urlaubsverlängerung ausgelöst hatte, konnte er sich damals noch gar nicht vorstellen. Kreisforstmeister Hromatnik hatte schon vermutet er sei in den Westen getürmt.
    Schließlich schreckte er aus seinen Erinnerungen hoch, als seine Mutter ihn zum Abendbrot rief. Eben hatte doch die Sonne noch lange Schatten geworfen, jetzt sah er nur noch rosa Wolkenstreifen über den schwarzen Waldrändern in der Ferne. Grau stieg vom Boden die Dämmerung auf. Ich werde Christa noch heute Abend schreiben, sagte er sich. Auch wiedersehen würde er sie ja bald, wenn auch nur

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