Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
davon erzählt hatte. Nichts Außergewöhnliches? Nun war er sich nicht mehr ganz so sicher. Was wußte er denn wirklich von Irene und vom alten Sasse? Und Hans-Peter? Nee, sagte er sich, der wußte wohl auch nicht mehr.
In dieser Familie sprach man, hatte er den Erzählungen seines Freundes entnehmen können, kaum über Politik und auch sonst nur von Alltäglichkeiten. Aber, überlegte er, vielleicht auch nur im Beisein dieses Jüngsten, also Hans-Peters, den man nicht ganz ernst zu nehmen schien. Schließlich hatten den bis vor wenigen Jahren Mutter und große Schwester ja noch eigenhändig gebadet – für Sebastian seinerzeit schon eine Groteske, Anlaß Hans-Peter ausgiebig zu hänseln. Dem wurde wohl nicht viel erzählt. Was wußte der eigentlich von dem, was in seiner Familie womöglich vorging … Aber was ging dort vor?
Abends im Bett konnte Sebastian lange nicht einschlafen. Was er sich auch zur Ablenkung überlegte, immer wieder kam er auf Irene zurück. Englisch sprach sie jedenfalls nicht. Wie lernt man dann aber zufällig auf der Straße einen englischen Diplomaten kennen? Doch wenn vielleicht so ein Kontakt mit Absicht organisiert wurde, also von Leuten mit Zugang in solche Kreise, und sie zuvor vielleicht Englisch lernen mußte, jedenfalls einigermaßen, wie man es von einer Deutschen erwartete?
Im Flüchtlingslager dürfte sie ja nun längst nicht mehr sein. In Westberlin eigentlich auch nicht – ja, eigentlich … Er schob die Möglichkeit weitergehenden Nachdenkens wieder von sich und dachte lieber naheliegend an seine sinnlose Arbeit im Wald. So ein Forstfacharbeiterlehrling konnte ja doch nur ein ganz simples Kerlchen sein. , so sah er das und so, meinte er, würden das sicher auch andere sehen. Einem Holzhacker traute doch niemand was zu.
Da war das mit Totila schon eine andere Sache: Von der Oberschule gejagt und nun in einem theologischen Oberseminar … Der mußte wohl noch vorsichtiger sein, darüber hatten sie schon gesprochen, das wußte der aber auch, Irene hingegen kannte er überhaupt nicht. Achte auf seine Schwester, fiel ihm dazu die Bemerkung Pfarrer Kunzmanns wieder ein.
Warum sprach Hoffmann nicht mit ihnen darüber oder wenigstens mit ihm, Sebastian. Nichts Spezielles, hatte der Pfarrer vorhin im Bahnhof gesagt. Sebastian fühlte sich dort im Bett gar nicht wohl bei diesen Überlegungen. Und so schickte er seine Gedanken weiter zurück, die üble Schulzeit überging er, den Lehrer Langenbach, der kurz auftauchte, ließ er sogleich wieder in der Versenkung verschwinden.
Dann sah er sich als Siebenjährigen und den Lehrer Koslowsky, der so dick war, daß er wohl nicht in den Krieg mußte und dafür dann Schüler täglich mit Rohrstockhieben traktierte. Künftige Soldaten sollten das schon aushalten. Doch auch das schob er nun besser beiseite.
Seine erste Liebe fiel ihm ein, Brigitte, da war er knapp fünfzehn gewesen. Ein erster Kuß und er dachte daran, wie er sich damals freudig erschreckt schnellstens davongemacht hatte. Er mußte grinsen, als er sich das wieder vorstellte. Diese Liebe war natürlich vergänglich gewesen. Erinnerungen daran, aber auch an den Kummer danach, blieben in mildem Licht zurück.
Brigitte war mit ihren Eltern längst im Westen. Der Westen, dort schien fast immer die Sonne, alles war heller, auch im Winter, selbst der Schnee war weißer. Und dieses helle, dieses freundliche Licht tröstete ihn schließlich in Schlaf und Traum hinüber.
53.
In den Sommermonaten wurden die Lehrlinge nicht ausschließlich beim Holzeinschlag beschäftigt. Oft war dann mancher mit seinem Revierleiter und dem Haumeister unterwegs, um das von den Waldarbeitern geschlagene und vermessene Holz in eine Kladde zu übertragen. Dazu hatte sich der Haumeister eine, je nach Jahrgang mit grüner, schwarzer, blauer oder roter Farbe getränkte Bürste um die Wade geschnallt, über die er dann einen schweren metallenen Nummerierungsstempel zog. Die entsprechend gefärbten Zahlen schlug er dann in die Enden der gefällten Stämme, um danach die fortlaufende Ziffer jedes Mal um eins weiter zu drehen. Die von den Waldarbeitern mit Ölkreide vermerkte Länge des Stammes rief er laut aus, wobei der Lehrling mit einer Kluppe zugleich den Stammdurchmesser am oberen und unteren Ende vermaß und sämtliche Daten in der Kladde vermerkte.
Aufgabe des Revierlehrlings war es dann in der Regel, die so ermittelten Daten im Büro zu kubizieren, also in Festmeter umzurechnen. Oder aber alle
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