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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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rechts.
    „Nicht klein kriegen lassen.“
    „Eisern bleiben.“
    „Gib denen nicht die Genugtuung um Gnade zu winseln“, oder auch: „Denk dran, alles ist vergänglich, selbst lebenslänglich“; oder: „Auch wenn sie uns einsperren, das Recht ist auf unserer Seite…“ Und womit sonst manche die üble Situation, in der sie sich befanden, von heroisch bis erträglich auszuschmücken suchten.

    75.

    Auch der Tag seiner Verhandlung zeigte sich am Morgen im Fenster als ein sonniger Frühlingstag. Seine Leidensgenossen in den anderen Zellen verabschiedeten Sebastian der Reihe nach. Gleich nach Kaffee und Marmeladenbrot holte man ihn, das erste Mal nach einem halben Jahr, zum Duschen in den Keller. Dort gab es auch jemanden, der ihm die Haare schnitt und ihn rasierte. Dabei kam es zum Blutbad, als die Klinge den grindigen Ausschlag auf seiner Oberlippe aufriss, obwohl er vorher darauf hingewiesen hatte. Es bedurfte dann einer Menge Zeitungspapier, um das Blut endlich zu stillen.
    Er hatte sich auch das erste Mal wieder in einem Spiegel sehen können. Was er dort erblickt hatte, war ein hohlwangiger, von langen strähnigen Haaren umrahmter Typ mit einem schütteren dunklen Bart und seltsam starren Augen in verschatteten Höhlen. Er kam sich fremd vor. Nach Haarschnitt und Rasur sah er dann nicht mehr wie ein kitschiges Christusimitat aus. Unterwäsche und das völlig verschwitzte Hemd konnte er endlich wechseln. Das Sakko aus dem Westen und die khakifarbene Hose aus der HO sahen noch halbwegs brauchbar aus.

    Er selbst wäre lieber zottelig, ungewaschen und verschwitzt vor dem „Volksgericht“ erschienen, um die menschenunwürdigen Verhältnisse zu demonstrieren. Wie er aus der Anklageschrift, die er durchlesen und dann kurz mit seinem Anwalt, den seine Eltern bestellt hatten, besprechen konnte, war er dem „ 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Cottbus“ überstellt worden. Mit diesem Anwalt, einem älteren Herrn, war auch ein junges Mädchen gekommen, die ein kleines silbernes Kugelkreuz am Revers ihrer Jacke stecken hatte.
    „Das sieht ja mutig aus“, sagte Sebastian und wies mit einer Kopfbewegung auf diesen Anstecker. Vielleicht sollte ihn das auch nur etwas aufmuntern. Mißtrauen wollte er jedenfalls nicht aufkommen lassen.
    „Ich habe Ihre Akte gelesen“, sagte der Anwalt.
    „Und was halten Sie davon?“
    Der Anwalt räusperte sich, sah angestrengt zu Boden, hob dann den Kopf und Sebastian sah ein wenig Ratlosigkeit in dessen Blick.
    Bevor der Mann etwas sagen konnte, erklärte Sebastian, der sich längst keine Illusionen mehr machte: „Wir sind verraten worden, wie Sie’s ja aus den Akten wissen.“
    Der Anwalt nickte: „Ich vertrete auch Ihren Freund, Totila Kunzmann“, sagte er.
    „Was wollen Sie tun?“ fragte Sebastian. „Ich denke nämlich“, fuhr er fort, „daß da nicht mehr viel zu machen ist. Es steht doch sowieso schon alles fest. Ich rechne mit zehn oder fünfzehn Jahren.“
    Sein Gegenüber widersprach nicht.
    „Sie könnten allenfalls unsere Jugend als Milderungsgrund anführen und vor allem das schriftlich verfasste Urteil aufbewahren.“
    „Das wollte ich Ihnen eben auch vorschlagen, solche Urteile verschwinden nämlich häufig in den Effektenkammern der Anstalten.“
    Der begleitende Schließer, das konnte Sebastian im Hintergrund erkennen, wartete schon ungeduldig und trat vor der Tür des Sprechzimmers in seinen Stiefeln von einem Fuß auf den anderen.
    Sebastian verabschiedete sich von seinem Anwalt und auch dem jungen Mädchen mit dem Kugelkreuz, offensichtlich eine Anwaltsgehilfin…Praktikantin konnte sie nicht sein. Mit einem Kugelkreuz am Revers durfte man nicht studieren. „Sind Sie nachher auch dabei?“ fragte er sie.
    Sie nickte ein bißchen verlegen.
    „Dann sehen wir uns ja bald wieder.“ Es wunderte ihn schon, wie die mit diesem christlichen Symbol, wenn auch nur als Anwaltsgehilfin, politisch Angeklagte besuchen durfte. Rechtsanwalt ist ihr Chef in den zwanziger Jahren geworden, überlegte er noch, indem er auf den ungeduldig wartenden Schließer zuging. Wahrscheinlich wird er ein politisches Treuegelöbnis haben ablegen müssen, bei Hitler und jetzt sicher wieder.
    „Na kommen Sie schon, wir haben nicht mehr viel Zeit“, kam ihm der Uniformierte entgegen.
    „Ich schon“, entgegnete Sebastian, der nun wieder, als halbwegs normal aussehender Zivilist vor dem in blankgewichsten Stiefeln erscheinenden Begleiter herlief, über Gänge, an Zellentüren

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