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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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fertig“, sagte Sebastian.
    Der Hauptmann schüttelte den Kopf. „Steht alles im Gesetz“, erklärte er. „Ich kann’s Ihnen aber auch sagen: Zwischen zehn Jahren und lebenslänglich – Zuchthaus natürlich“, fügte er leicht spöttisch hinzu. „Wir haben auch noch die Todesstrafe in petto für ganz ähnliche Delikte. Und vergessen Sie nicht“, fuhr er in mahnendem Ton fort, „wir hätten Sie auch unseren sowjetischen Freunden überantworten können. Ich muß Ihnen ja nicht sagen, wohin Sie dann mit Sicherheit gebracht worden wären. Hier müssen Sie uns schon dankbar sein.“
    Wenn die schon Pfarrer Kunzmann, trotz der Aussagen Sasses, nicht verhaften konnten, ging es Sebastian durch den Kopf, denn dessen Verhaftung zu erwähnen, hätten sie sich ihm gegenüber ganz sicher nicht entgehen lassen, dann würden sie auch gegen ihn kein „lebenslänglich“ verhängen. Nur allzu gern hätten die ja einen evangelischen Pfarrer verhaftet, doch wollte man wohl zur Zeit keinen neuen Krach mit der Kirche heraufbeschwören. Nach Pfarrer Kunzmann war Sebastian jedenfalls mit keinem Wort mehr befragt worden.
    Einer der jungen Schließer brachte ihn dann wieder in seine Zelle zurück. In drei Tagen ist Termin, überlegte er. Sibirien wird’s also nicht sein, allenfalls fünfzehn Jahre, vielleicht auch nur zehn oder zwölf … trotzdem schrecklich. Dabei mußte er unwillkürlich lachen: Es ist möglich, sich an Schreckliches zu gewöhnen, komisch, aber man muß es tun. Dabei lief er wieder wie gewohnt seine engen Achten.
    Draußen war noch immer sonniges Frühlingswetter, erkennbar am blauen Himmel im Rillenglas und dem hellen Schein an der graugrünen Wand. Das Jaulen der Frühlingsstürme, deren Böen sich im engen Hof des alten Gebäudes gefangen und am Zellenfenster gerüttelt hatten, war lange verstummt. Jetzt wird dort draußen ein mildes Lüftchen wehen … „süße wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land“, ging es ihm durch den Kopf. Trauer erfasste ihn schon, wenn er sich klar machte, daß er von alledem sehr lange ausgeschlossen bleiben würde, sehr lange nicht mehr das Summen tausender Bienen im Duft blühender Linden hören würde, nicht mehr auf einem Stubben im Wald sitzen und dem leisen Klang des Windes in den Kronen der Bäume würde lauschen können. Keine Glühwürmchen mehr an lauen Abenden im Altdöberner Schloßpark an warmen Sandsteinbänken sehen können.
    Dann dachte er an Gisela und die anderen Altdöberner Schloßmädchen, längst verheiratet die meisten, oder weggezogen, wenn er wieder draußen verwehten Spuren der Vergangenheit nachgehen würde. Und der im kalten Winter 1947 zu ihnen gestoßene Findelhund Luchsi wird dann längst gestorben sein.
    Was wird Christa sagen, die ja von alledem nichts geahnt hatte? Sie wäre dann Ende zwanzig, Anfang dreißig, oder noch älter, wenn er wieder rauskommen würde in eine veränderte Welt. Er selbst würde dann nur noch eine ferne Erinnerung in ihrem Leben sein… unvorstellbar. Das wird alles nicht so schlimm, fiel ihm der alte Schließer ein, Sie stehen das durch…nichts wird so heiß gegessen, wie’s gekocht wird. Bleiben Sie bei Ihrer Haltung.
    Gut, sagte Sebastian sich, blieb stehen und sah wieder hinauf ins Glitzern des blauen Frühlingshimmels im Rillenglas des Zellenfensters. „So mir Gott hilft“, sagte er laut, „stehe ich das durch. Was bleibt mir auch anderes übrig?“ Seine Eltern seien benachrichtigt, war ihm vom Hauptmann gesagt worden und würden saubere Sachen für ihn schicken: Hemd, Unterwäsche, Strümpfe …
    Darüber hatte Sebastian sich laut gewundert. „Wie kommen Sie jetzt darauf?“ hatte er den Hauptmann gefragt. „Ich habe ja ein halbes Jahr in diesen durchgeschwitzten Klamotten verbracht …“
    „Dann wird’s halt Zeit, das zu ändern“, hatte er zu hören bekommen. „Schließlich verläuft die Verhandlung ja nicht vollständig unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Außerdem hat die evangelische Kirche hohe Vertreter angekündigt.“
    Das hatte Sebastian bis dahin noch gar nicht bedacht und war davon überrascht worden, natürlich ohne sich das anmerken zu lassen.
    Hohe Vertreter, sagte er sich, indem er in der Zelle wieder seine Achten lief, die kommen sicher aus Westberlin. Schaden kann das jedenfalls nicht.
    Dann verständigte er seine Nachbarn in den Zellen ringsum über den Tag seines Gerichtstermins. Im üblichen Stakkato trafen Ermutigungen ein, von oben und unten, von links und

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