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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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noch vor uns, Schätzchen? «
    Jedes Mal, wenn ich sie ansah, deutete Ma auf den Kassierer und wies mich an, alles im Auge zu behalten. Ihre Aufmerksamkeit zu ergattern, war ein Drahtseilakt zwischen dem Einstreuen von Fragen und der Demonstration, dass ich den vollen Überblick hatte. Ich versicherte ihr immer wieder, dass wir es fast geschafft hätten; insgeheim wünschte ich mir, sie müsste so lange wie möglich warten, länger als alle anderen.
    »Keine Ahnung, Lizzy. Du bist ein freundlicheres Kind, und du hast als Baby nie geschrien. Du hast so ein Geräusch von dir gegeben wie eh, eh . So was von süß, fast höflich. Lisa hat sich die Seele aus dem Leib gebrüllt und alles kaputt gemacht, meine Zeitschriften zerfleddert, aber du hast nie geschrien. Ich hatte schon Angst, du seiest zurückgeblieben, aber alle sagten, du seiest ganz normal. Du warst immer ein braves Kind. Wie viele noch, Schätzchen?«
    Selbst wenn man mir dieselben Geschichten wieder und wieder erzählte, wurde ich niemals müde zu fragen.
    »Wie lautete mein erstes Wort?«
    »›Mommy‹. Du gabst mir die Flasche zurück und sagtest: ›Mommy.‹ Du warst zum Schießen.«
    »Wie alt war ich da?«
    »Zehn Monate.«
    »Wie lange wohnen wir schon in unserem Haus?«

    »Seit Jahren.«
    »Wie viele genau?«
    »Lizzy, mach Platz, ich bin dran.«
    Zu Hause verteilten wir uns auf zwei Zimmer: das Wohnzimmer für uns Kinder, daneben die Küche für Ma und Daddy. Anders als sonst gab es am Ersten des Monats Lebensmittel in Hülle und Fülle. Lisa und ich aßen abends ein Happy Meal vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher, zur Begleitmusik klirrender Löffel auf dem Tisch und rückender Stühle nebenan – und diesen langen, stillen Momenten, von denen wir wussten, auf was sie sich nun konzentrierten. Daddy musste es bei Ma machen, denn wegen ihrer schlechten Augen fand sie nie eine Vene.
    Zu guter Letzt genossen wir alle vier den zweitbesten Teil des Tages. Wir lümmelten zusammen im Wohnzimmer vor dem flimmernden Fernseher herum. Draußen lief die blecherne Musik des Eiswagens in Endlosschleife, und irgendwelche Kinder versammelten sich und stoben auseinander, immer wieder in einem ständig neuen Fangspiel.
    Alle vier vereint. Das Fett der Pommes frites an meinen Fingerspitzen. Lisa, die von einem Cheeseburger abbeißt. Ma und Daddy, die gleich hinter uns zucken und zappeln, vollkommen euphorisch.
    »Zwischen den Kissen, Lizzy. Genau, ich sag’s doch, im Sofa. Press dein Ohr fest genug dran, warte ein paar Minuten, und dann hörst du das Meer.«
    »Wirklich?«
    »Ja, Lizzy. Ich sag’s nicht noch mal. Du weißt, dass ich das nicht ausstehen kann. Entweder willst du es hören oder eben nicht.«
    »Ich will ja!«
    »Dann press dein Ohr da drauf, richtig fest, und hör genau hin .«
    »Okay.«
    Als meine ältere Schwester war Lisa mit etwas Geheimnisvollem
umgeben, einer Macht, die mich als Kind beeinflusste und einschüchterte. Einige ihrer Talente, die mich am meisten beeindruckten – um nur ein paar davon zu nennen –, reichten vom Zöpfeflechten über Fingerschnippen bis hin zum Pfeifen der kompletten Erkennungsmelodie von Verliebt in eine Hexe . In meinen Augen war sie eine Königin, die ihre Befehlsgewalt in vielfachen Angelegenheiten erhobenen Hauptes verkündete – Aussagen, die ich ob meines jungen Alters fraglos akzeptierte. Selbst wenn ihre Behauptungen abstrakt klangen, dachte ich, dass sie wie ein Mathelehrer, der das Rechnen beherrscht, Wissen innehatte: Auf mysteriöse Art und Weise und ohne jeden Zweifel war es einfach so. Durch mein blindes Vertrauen war ich ihren Streichen mehr als einmal auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
    »Gut, jetzt leg dir dieses andere Kissen auf den Kopf.«
    »Warum?«
    »Du gehst mir auf die Nerven! Willst du das Meer hören oder nicht?«
    Warum auch nicht? Ich wusste doch, dass man den Ozean in den einfachen Muscheln, die wir von unseren Ausflügen mit Ma an den Orchard Beach – der nun wahrlich nicht am Meer lag – mit nach Hause gebracht hatten, hören konnte, warum also sollte ein Sofakissen weniger gut dazu geeignet sein? Und woher sollte ich wissen, was Lisa tun würde, als sie auf mich draufhüpfte und sich auf meinem Kopf niederließ? Wie sollte ich ahnen, dass sie einen lauten, stinkenden Furz über mir ablassen würde?
    »Der ist für dich! Hör dir das Meeresbrausen an, Lizzy!«, rief sie, während ich unter ihr wie wild um mich schlug und meine Schreie von ihrem Gewicht erstickt wurden.
    Hätte mich

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