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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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blätterte. Zurückgelehnt auf einen Stapel seiner weichen Kissen, meine Beine unter seiner Decke angewinkelt, teilten wir uns sein Bett, und ich schlief langsam ein, hypnotisiert von dem entfernten Summen des Föhns seiner Mutter und dem Klang von Bobbys tiefer Stimme.
    »Hallo, hier spricht Mr Doumbia von der Fürsorge. Ich rufe wegen Elizabeth Murray an, für die Sie das Sorgerecht haben. Laut der Junior High School 80 nimmt Miss Murray nicht regelmäßig am Unterricht teil, und wir sind besorgt um ihre Zukunft in Ihrer Obhut. Bitte rufen Sie mich an unter …«
    Ich hatte Glück, diese Nachricht von Mr Doumbia auf dem Anrufbeantworter zu hören und zu löschen, bevor Brick die Gelegenheit gehabt hatte, sie zur Kenntnis zu nehmen. Ich war seit Wochen nicht mehr in der Schule gewesen, und ich wusste bereits, wie die Botschaft an mich lauten würde: Schwänze ich weiterhin die Schule, werde ich nach St. Anne’s zurückgeschickt. Aber genau das wollte ich nicht hören, also löschte ich die Nachrichten weiterhin und hoffte, das Problem würde sich in Luft auflösen.
    ACHTUNG!
Wohnung 2B wird gesäubert und ausgeräuchert!
Bitte treffen Sie Vorkehrungen für Ihre Sicherheit & Gesundheit!
Die Hausverwaltung
    Die fett gedruckten Schwarz-Weiß-Flyer waren in unserer Lobby in der University Avenue haufenweise ausgelegt, über die rostigen
Briefkästen gepinnt und unter der Tür jedes einzelnen Mieters durchgeschoben worden. Daddy hatte mich nicht angerufen, um mir mitzuteilen, dass er die Wohnung verloren hatte; ich fand es selbst heraus. Sam und ich hatten im Diner Andenken und Familienfotos erörtert, als mir bewusst wurde, dass sich fast alle meine Besitztümer noch in der anderen Wohnung befanden.
    »Ich hätte wenigstens gern meine Fotos bei mir, und vielleicht auch ein paar meiner Bücher«, sagte ich zu Sam, als wir unter der Hochbahn den Schienen entlang zur University Avenue folgten. Unter den Gleisen der Linie vier zu laufen war die einzige Variante, wie ich den Weg zurück in das Viertel fand. Ab und zu ratterte ein Zug kreischend und Funken schlagend über uns vorbei. Wir kickten eine Dose zwischen uns und durch das Unkraut hin und her, das aus den Ritzen auf der Jerome Avenue wucherte.
    »Ich habe Bücher über Haie und Dinosaurier«, erzählte ich ihr mit lauter Stimme gegen den Krach der Züge. »Weißt du, wer Jacques Cousteau ist?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Mein Dad hat diese Bücher … Du musst dir unbedingt seine Unterwasserfotos ansehen. Du hättest nie gedacht, dass es manche dieser Sachen wirklich gibt.«
    Als wir uns der Wohnung näherten, kam ich zu dem, was ich wirklich sagen wollte. »Du hast so ein Haus noch nie zuvor gesehen, Sam, wirklich. Wenn ich sage, dass es übel ist, dann meine ich das auch so, hundertmal schlimmer als bei Brick.« Ich hegte die Hoffnung, ihr auf diese Art und Weise klarzumachen, wie schlimm die Wohnung war, damit sie, wenn sie es mit eigenen Augen sah, wusste, dass ich mir durchaus bewusst war, wie übel es aussah. So würde sie nach der Besichtigung nicht anders über mich denken.
    »Liz, halt die Klappe«, antwortete sie. »Du weißt doch, dass ich deinen weißen Arsch liebe, also mach dir nichts draus.«
    Das monatelange Zusammensein mit Sam hatte mich begierig darauf werden lassen, ihr die Wohnung in der University Avenue zu zeigen; noch nie zuvor hatte ich dorthin einen Freund mitgenommen,
nicht einmal Rick und Danny. Ich hatte zu viel Angst. Aber nachdem wir im Diner immer wieder zusammensaßen und redeten, so oft und so viel über Daddy und über die Wohnung, war mir bewusst geworden, dass ich Sam zeigen wollte, woher ich kam. Mehr als irgendjemandem, den ich sonst kannte, vertraute ich ihr, dass sie es verstehen würde.
    Während der zehn Monate seit meiner gerichtlichen Unterbringung hatte ich Daddy nur ein Mal besucht, gleich am Anfang nach meiner Entlassung aus dem Heim. Ich dachte, es würde sich gut anfühlen, wieder nach Hause zu kommen, aber es zeigte sich, dass es ein Riesenunterschied war, ob man bei Daddy zu Besuch war oder mit ihm zusammenlebte. Als sein Besucher mussten wir uns gemeinsam hinsetzen, uns ansehen und uns unterhalten. Wir mussten die Zeit mit Worten füllen, und das stellte sich als schwieriger heraus, als ich gedacht hatte. Worüber sollten wir bloß reden? Über das Erziehungsheim? Mas Aids? Seine letzte Dröhnung? Mein neues Leben, in dem er keinen Platz mehr hatte? Walter O’Brien? Also landeten wir schließlich gemeinsam

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