Als der Tag begann
Bobbys Mutter gehörten. Die Jungs standen abseits und bewarfen sich mit ihren Kappen, als wären es Frisbees. Bobbys Robe wurde vom Wind aufgeweht. In seinem gut sitzenden schwarzen Anzug sah er wie ein erwachsener Mann aus und seine Mutter wie die perfekte Mom; ihr Haar, genauso braun und dick wie das ihres Sohnes, war zu einem glänzenden Chignon hochgesteckt.
Ma hatte für diesen Anlass ein kurzärmeliges Secondhandkleid mit Blumenmuster ausgegraben. Ihre Arme trugen Narben, die ihre Haut aussehen ließen wie bleiches Hamburgerfleisch. Sie hatte
sich auch die Haare geschnitten, und die weißen Sandalen, die sie anhatte, betonten noch die Haare auf ihren strumpflosen Beinen und ermöglichten freie Sicht auf ihre gelben Fußnägel, die sich ziemlich deutlich über ihre Schuhränder wölbten.
Ich beschloss, das Ganze im Gebüsch auszusitzen. Solange ich mich dort zusammengekauert verstecken konnte, würde ich der Demütigung entgehen und die Normalität bewahren, die ich zu Hause bei den Müttern meiner Freunde so sehr genoss. Ich hatte die Nase voll davon, immer der Sonderling zu sein, und ich hatte mich selbst neu erfunden. Ich war normal, im Allgemeinen guter Dinge, sogar interessant, und ich wollte das nicht wieder hergeben – nicht jetzt, wo ich den Moment so leicht abwarten konnte und die ganze Tortur auf diese Weise einfach vermied.
Dann passierte etwas, worauf ich nicht vorbereitet war. Mr Strezou, der Mann, der geisteskrank sein musste, weil er meine Versetzung auf die Highschool bewirkt hatte, blieb vor Ma stehen und begann ein Gespräch mit ihr. In Anzug und Krawatte und mit einem ungezwungenen Gesichtsausdruck beugte sich Mr Strezou vor, ergriff Mas Hand und schüttelte sie, und dabei lächelte er sie aufrichtig an. In seinem Blick lag Freundlichkeit, und obwohl ich nicht hören konnte, was sie redeten, bemerkte ich genau, dass Ma durch seine aufmerksame Art richtig aufblühte. Sie lächelte, zappelte aber nicht herum von ihren Medikamenten. Mir fiel auf, dass ich sie schon lange nicht mehr hatte lächeln sehen. Und sie ließ nicht locker und stellte Fragen. Über mich? Sie schüttelte seine Hand und legte die andere auf seinen Arm. Ich sah, wie sie die Worte Vielen Dank formulierte. Dann, als Mr Strezou wegging, blickte Ma sich wieder in alle Richtungen suchend nach mir um. Langsam schien ihr Gesicht in sich zusammenzufallen.
Ich zwang mich, einen Schritt nach vorn zu machen, über den Mulch hinweg und aus dem Gebüsch heraus. Ich ging über den Bürgersteig schnurstracks auf Ma zu und umarmte sie fest, vor aller Augen. Ich liebte sie so sehr, und mitten in meiner Brust spürte ich ihre Liebe für mich. Ich hielt sie eine ganze Weile im Arm.
»Schätzchen«, sagte sie, »ich bin ja so stolz auf dich.« Ich ließ ein bisschen von ihr ab, hielt aber ihre Arme immer noch fest. Sie hatte Tränen in den Augen. »Als sie deinen Namen aufriefen, habe ich ganz laut geklatscht, Liebes. Hast du mich gehört?« Ich hatte keine besonderen Auszeichnungen erhalten – ich hatte ja kaum richtig meinen Abschluss gemacht, aber das schien bedeutungslos für Ma zu sein. Ich wusste, dass sie mich unterstützte und meinen Entscheidungen vertraute. Vielleicht zu sehr. Ich legte meinen Arm um ihre Taille und führte sie ein Stück weiter. Ich war überrascht, die scharfen Kanten ihres Hüftknochens so genau zu spüren.
»Komm hierher, Ma, ich möchte dich ein paar Leuten vorstellen. «
Durch ein paar Schritte vorwärts öffnete ich für Ma und mich den Kreis der beieinanderstehenden Frauen. Ich faltete meine Hände, mein Herz raste. »Hallo, alle miteinander«, sagte ich, »ich möchte euch meine Mutter, Jean Murray, vorstellen.«
Eines Abends rief Daddy an, ein paar Wochen nach meinem Start an der Highschool, während die Wohnung erfüllt war von Bricks ununterbrochen laufendem Fernsehgeplärre, dem Zigarettennebel und Mas Krankheit. Sie hatte den ganzen Tag über in die Toilette und auf die Badezimmerfliesen gekotzt, und obwohl ich eine ganze Packung Küchenrolle verbraucht hatte, war der Geruch immer noch wahrnehmbar, durchdringend und säuerlich. Sam und ich vertrieben uns die Zeit zwischen Mas Anfällen mit Anrufen bei den verschiedensten Radiosendern, um in Gewinnspielen Konzertkarten zu ergattern. Und wir markierten eine Landkarte von Amerika mit all den Orten, an die wir auf unserer Tramptour quer durchs Land fahren wollten. Obwohl sie selbst nie an Ma herantrat (weil die Krankheit ihr Angst machte, glaube
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