Als der Tag begann
Bagels und Muffins. Eine freundliche Dame mit einem hübschen Lächeln und dünnen Dreadlocks namens Sheila nahm die Anmeldungen der Finalisten entgegen. Sie ermutigte mich zuzugreifen. »Bitte, Liebes, niemand hat etwas davon angerührt, und wir schmeißen es nachher nur weg. Das ganze Tablett ist noch zu haben.«
Mehr brauchte ich nicht zu hören. Als mein Name aufgerufen wurde und sie sich anschickte, aus dem Raum zu gehen, stopfte ich in Windeseile das Gebäck in meine Tasche. Sie hatte mich doch aufgefordert, mich zu bedienen.
Ich betrat einen Konferenzraum mit einem langen Eichentisch in der Mitte, um den ungefähr zwölf geschäftsmäßig gekleidete Männer und Frauen saßen. An einem Ende des Tisches stand ein leerer Stuhl, der eindeutig für mich bestimmt war. Ich steuerte ihn an.
Meine Hände waren noch immer voller Puderzucker. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich und nahm aus einer Schachtel auf dem Tisch ein Kleenex. Ich nahm Platz und wischte mir die Hände ab. Zwölf Augenpaare musterten mich eingehend.
Ich wusste, dass es in diesem Gespräch um meinen Aufsatz gehen
würde. Beschreiben Sie ein Hindernis , das Sie überwunden haben , hatte die Fragestellung gelautet. Nachdem ich mittlerweile achtzehn war und nicht mehr fürchten musste, vom Jugendamt zu einem Heimaufenthalt gezwungen zu werden, hatte ich auch darüber geschrieben, obdachlos zu sein. Ich hatte mit nichts hinterm Berg gehalten.
In diesem Gespräch ging ich allerdings noch weiter als in meinem Aufsatz. Ich erzählte ihnen, den Autoren, Lektoren und Journalisten, die vor mir saßen, von meinen Eltern, von der University Avenue, davon, wie Ma den Truthahn für Thanksgiving verkauft hatte. Ich erzählte ihnen, wie ich durch die Gastfreundschaft meiner Freunde überlebt und in Treppenhäusern geschlafen hatte. Ich erzählte ihnen, wie es ist, nicht jeden Tag etwas zu essen zu haben und auf Mahlzeiten von The Door und anderen Institutionen angewiesen zu sein. Es war still geworden im Raum. Ein Mann mit roter Krawatte und Brille beugte sich über den großen Konferenztisch nach vorn und brach das Schweigen.
»Liz, gibt es noch etwas, das Sie uns mitteilen möchten?«, fragte er mich.
Ich war verblüfft. Offensichtlich sollte ich etwas Bedeutsames von mir geben, einen wohlüberlegten Satz, der sie davon überzeugte, dass ich dieses Stipendium verdient hatte.
»Na ja, ich brauche dieses Stipendium«, war das Erste, was mir einfiel, »ich brauche es einfach ganz dringend.« Alle lachten. Wäre mir etwas Beeindruckendes und Vielschichtiges eingefallen, hätte ich es stattdessen gesagt, aber mir kam nur die ganz schlichte Wahrheit in den Sinn.
Irgendjemand meinte, wie nett es sei, mich kennengelernt zu haben. Mehrere Leute standen auf und schüttelten mir die Hand.
Ein Journalist geleitete mich in eine Cafeteria, in der die Angestellten der Times jeden Tag zu Mittag aßen. Alle waren gut gekleidet und trugen gut sichtbar ihre Büroausweise an die Hüfte geheftet oder an Bändern um den Hals. Randy, so hieß der Mann, nahm mir gegenüber Platz, er war weiß, Mitte dreißig, trug ein blaues
Button-down-Hemd mit Krawatte. Er war ziemlich freundlich und lud mich zum Mittagessen ein.
»Tut mir leid, dass ich bei dem offiziellen Gespräch nicht dabei sein konnte.« Randy spielte mit seinem Stift herum. »Erzählen Sie mir, wie Sie obdachlos geworden sind? Und warum Ihre Eltern sich nicht um Sie kümmern konnten?«
Ich stopfte mir warme Makkaroni mit Käse und Huhn in den Mund und nahm riesige Schlucke von einem herrlich süßen Apfelsaft. Mir drehte sich der Kopf vor lauter Begeisterung über das warme Essen und das Interesse des Journalisten. Ich freute mich wahnsinnig darüber, in einem echten Bürogebäude zu sein, in dem Menschen richtig arbeiteten, so wie ich es aus dem Fernsehen kannte. Nach allem, was ich in den letzten Jahren durchgemacht hatte, und nach allem, was allein schon dieser Tag mit sich gebracht hatte, war es überraschend einfach, mit dem Journalisten zu reden. Ich erzählte ihm, wie ich aufgewachsen war und meinen Eltern dabei zugesehen hatte, wie sie sich zudröhnten, wie Ma gestorben war, von den Motels und sogar von meinem morgendlichen Ausflug zum Sozialamt.
Jahre später habe ich oft darüber nachgedacht, welch ein Segen es war, dass ich damals nicht wirklich durchschaut habe, welche schweren Anforderungen dieser Tag eigentlich an mich stellen sollte. Hätte ich gewusst, als wie schwierig ein Bewerbungsgespräch mit
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