Als der Tag begann
zuallererst den Stiel in die Flasche. Du willst dich ja nicht verbrennen.«
Ich kauerte mich zu einer Kugel auf dem Zementboden zusammen,
um die Zündschnur anzufachen. Daddy nahm mich von hinten schützend in den Arm. Ich roch seinen Geruch, Moschus und Schweiß vermischt mit unseren frisch angezündeten Streichhölzern. Seine Hände waren riesig und umhüllten meine, als er mir zeigte, wie man die Rakete ausrichtete. Im Gleichklang lehnten wir uns zurück und sahen ihr beim Fliegen zu, wie sie mit einem Heulton durch die Luft aufstieg und sternförmig pinkfarbene Schweife durch den schwarzen Nachhimmel schoss. Da Lisa und ich uns beim Abschießen der Raketen abwechselten, brauchten wir die ganze Schachtel in weniger als einer Stunde auf. Ich schickte jede davon, begleitet von einer Runde Applaus, blinkend durch die Nacht und sah dabei über die Schulter zu Ma, die sich bei Daddy eingehakt und lächelnd an seine Schulter gelehnt hatte.
Wir befanden uns im Sommer 1985, kurz vor Schulbeginn, und es ist die letzte Erinnerung daran, dass wir vier uns nahestanden und glücklich waren. Davor hatte ich zu allem, was bei uns zu Hause so ablief, schlicht und ergreifend keine Vergleichsmöglichkeiten. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie sehr wir uns von anderen Leuten unterschieden. Alles, was ich wusste, war, dass Ma damals eine richtige Mutter war und dass meine Eltern sich gemeinsam um unsere Bedürfnisse kümmerten. Oder genauer gesagt, dass alles, worum sie sich nicht kümmerten, bedeutungslos war, weil ich keine Ahnung davon hatte, dass ich noch mehr brauchte.
Das Verklingen des Sommers entzog nicht nur ihm selbst die Wärme, sondern nahm auch den einzigen familiären Zusammenhalt, den ich je kennengelernt hatte, mit sich fort und infolgedessen auch meine allerletzte klare Erinnerung an Beständigkeit. Man könnte wohl sagen, dass wir vorher in einer Art Blase gelebt hatten, einer kleinen Welt, die nur aus uns vier bestand. Aber in meinen Augen waren wir einfach nur eine dieser vielen Familien, die auf der University Avenue lebten und sich abstrampelten. Manchmal waren die Umstände schwierig, aber wir hatten uns, und genau dadurch hatten wir alles, was wir brauchten.
In jenem August machte ich es mir zu eigen, auf einen der Küchenstühle zu steigen, um die Tage auf dem Werbekalender aus dem Met-Food-Supermarkt abzustreichen, der hoch oben neben dem Kühlschrank hing – ich hatte mir das bei meiner großen Schwester abgeguckt. Zwei Jahre lang immer im August hatte ich Lisa dabei zugesehen, wie sie häufig einen kurzen Blick auf die Kalendertage warf, die von Wertmarken für Geflügel im Sonderangebot oder Neunundneunzigcentburritos aus der Tiefkühltruhe umrahmt waren. Dabei brummelte sie klagend vor sich hin und stöhnte übertrieben über den Schulbeginn. Morgen würde ich sie zum ersten Mal begleiten.
»Du kannst dich auf was gefasst machen.« Sie durchwühlte ihre Schulvorräte, um mir etwas davon abzugeben. »Das Herumlungern hier ist vorbei, so viel steht fest. Von jetzt an musst du arbeiten, genau wie wir anderen auch.«
Ich dachte an die vielen Male, wenn Lisa nach Hause kam, schnurstracks in ihr Zimmer ging, um ihre Hausaufgaben zu machen, und Stunden später mit müden Augen und erschöpft wieder auftauchte, nur um dann zu sehen, dass ich fast den ganzen Abend auf Mas Schoß vor dem Fernseher gesessen hatte. Üblicherweise hatte sie dann kurz darauf irgendeinen dummen Streit mit mir angefangen und wollte die Macht über die Fernbedienung oder das ganze Sofa haben, weil sie schließlich hart gearbeitet und ich nur auf meinem Hintern herumgehangen hätte. Ihre Unterstützung bei meinen Schulvorbereitungen fühlte sich für mich wie eine Art Rache an.
Lisa pulte einen Packen liniertes Papier auf, den sie aus ihrem Schrank geholt hatte, und teilte ihn durch zwei.
»Das wirst du brauchen.« Sie reichte mir den Stapel. »Drehe es nicht falsch herum, sonst machen sich alle über dich lustig. Kinder finden immer einen Grund zum Hänseln, du wirst schon sehen.« Meine kleinen Hände bemühten sich, den ganzen Stapel mit einem Schwung in mein Ringbuch einzulegen, genau wie ich es bei Lisa schon oft beobachtet hatte. Ma lief hektisch im Zimmer umher.
»Morgen, Lizzy. Ich kann’s nicht glauben. Es ist noch nicht lange her, da hattest du noch Windeln an. Windeln!« Mas Stimme klang panisch. Ich konnte nicht sagen, ob sie bemerkte, dass sie schrie.
Ma hatte sich kurz vorher mit Daddy in der Küche
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