Als der Tag begann
Ich hatte im Flur, der seine Wohnung vom Keller abtrennte, auf Ma gewartet und sie dabei beobachtet, wie sie Bob Geld im Austausch für ein kleines Päckchen aus Folie zusteckte. Es war um die Mittagszeit; mein Vanilleeis zerschmolz in meiner Hand. Um mich herum schliefen lauter Leute verteilt auf zwei dreckigen Matratzen auf dem Kellerboden oder wachten gerade auf. Debbie war auch da; sie war aufgestanden und hatte Ma und mich umarmt. Der Ort war übersät mit Menschen, manche schnarchten, manche waren nicht mal ganz angezogen. Von der Decke hingen Fliegenklebebänder, bedeckt
von schwarzem, leblosem Ungeziefer, und nackte Glühbirnen waren die einzige Lichtquelle.
Kurz bevor Ma mich da wegbrachte, setzte sich ein Mann ohne Hemd auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Ohne mich zu bemerken, schüttelte er eine andere schlafende Person, ein Mädchen, und weckte sie auf. Ich stand verlegen da, verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, während sie sich küssten, leere Bierflaschen und überquellende Aschenbecher zu ihren Füßen.
Als Debbie wieder gegangen war, trat Ma ins Wohnzimmer und fragte unbedarft, ob einer von uns Läuse bekommen hätte. Ich wusste nicht, was ich außer »Mein Kopf juckt« antworten sollte. Lisa sagte dasselbe. Wir erhielten das Versprechen auf ein Shampoo namens »Quell«, und das war’s. Seitdem war ungefähr ein Monat vergangen und kein »Quell« in Sicht. Aus diesem Grund ergab ich mich zögernd Lisa und erlaubte ihr, meine Haare in alle Richtungen zu zwirbeln, während ich mein Gesicht vor Schmerzen verzog.
»Gib mir jetzt die Haarspangen.« Jedes Mal, wenn ein Zopf fertig war, wirbelte Lisa mich herum, damit ich ihr Werk bewundern konnte. Sie strahlte dabei übers ganze Gesicht, als würde ihr mein Anblick unglaublich Freude bereiten. Besonders misstrauisch wurde ich, als sie geradeheraus loslachte.
»Tschuldigung! Tschuldigung, Liz. Es sieht nur so lustig aus, ich kann nichts dafür. Du hättest auch gelacht, als ich das mit meinen Haaren gemacht habe, glaube mir. Schade, dass du nicht dabei warst, es war so eine Sauerei. Keine Sorge, das gehört alles zu der Prozedur.«
Ich glaubte Lisa gerade so viel, dass ich sie weitermachen ließ, aber ihr Gekichere machte es mir schwer, meine wachsende Wut zurückzuhalten. Einmal riss ich mich los, als sie sich zu sehr zu amüsieren schien, mit dem Resultat, dass ich Lisa bitten musste, das Werk zu Ende zu bringen. Sie stimmte widerwillig zu und ermahnte mich, ich solle nicht immer die guten Vorsätze anderer
Menschen infrage stellen. Ich nahm mir vor, mich weniger auf Lisa zu konzentrieren und mehr darauf, wie gut es sich anfühlen würde, wenn das alles vorbei wäre.
Sie verdrehte meine Haarsträhnen mit eisernem Griff und versetzte dadurch das Ungeziefer in helle Aufregung. Ich zuckte immer wieder zusammen und beobachtete die Zeiger der Uhr beim Weiterziehen. Vorhin hatten Ma und Daddy uns Einkäufe versprochen, aber sie waren schon seit Stunden unterwegs. Ich hatte so meine Bedenken, was sie bei ihrer Rückkehr wohl sagen würden, wenn sich das Ganze doch als einer von Lisas Scherzen herausstellte, also hoffte ich nur, sie wäre schnell fertig.
Nach gefühlten drei Stunden, nachdem mir die Beine vom Knien auf dem dünnen Teppich wehtaten und ich auf der Suche nach ein bisschen Bequemlichkeit in alle Richtungen herumzappelte, nahm Lisa endlich ihre Hände von meinem Kopf.
»Okay … fertig! Und jetzt höre mir gut zu, Lizzy. Als Nächstes müssen wir etwas Rotes finden, das wir in deine Haare stecken können. Sie haben nämlich furchtbare Angst vor Rot. Wir holen etwas, und dann wirst du sehen, wie es funktioniert. Aber du musst dich beeilen, sonst kriegen sie etwas davon mit.«
»Irgendetwas Rotes?«
Lisa stülpte ein Fundstück aus Daddys Schatzsuchen, ein rotes Barbiekleid, über den dicksten Zopf. Die leeren Ärmel standen gerade ab, und aus dem offenen Kragen zeigte sich ein mit einer Spange befestigtes Haarbüschel.
»War’s das? Funktioniert es?«
»Mehr! Wir brauchen mehr. Schnell, sie rennen sonst alle auf eine Seite, dann wird’s schwieriger. Beeil dich!«
Nichts Brauchbares im Blick, raste ich durch die Wohnung, riss meine Schubladen auf und schmiss billigen Schmuck und jede Menge anderes Zeugs durch mein Zimmer. Ich suchte fieberhaft, aber es schien so, als gäbe es da überhaupt nichts Rotes – bis mir Mas Krimskramskommode einfiel. Mit einer einzigen ausladenden Bewegung schnappte ich mir Mas
Weitere Kostenlose Bücher