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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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Coqui-Fröschen in Strohhüten. Das Durcheinander von wertlosem Zeug klimperte bei jeder erziehungsbedingten Handbewegung einer Mutter. Kinder umkreisten Sprinkleranlagen, und Jugendliche besetzten Straßenecken.
    In der Straße dröhnte Salsa-Musik, als wir die University Avenue in Höhe der 188th Street überquerten. Lisa und ich zerrten an Mas Arm, als sie uns blinzelnd durch den Verkehr lotste.
    »Noch vier Blocks, stimmt’s?«
    Ma lächelte abwesend. »Yep«, versicherte sie mir.
    In der Cafeteria roch es unverkennbar nach Fisch. Ich schluckte meine Enttäuschung hinunter, schnappte mir ein gelbes Plastiktablett mit vier Unterteilungen und stellte mich in der Schlange an. Vor den Bergen von Fischfrikadellen, die fettig glänzten, zögerte ich einen Moment.
    »Kriegst du zu Hause was Besseres zu essen?«, fragte mich die für die Milch zuständige Frau über das Geschnatter in der Cafeteria hinweg.
    »Nein«, erwiderte ich mit hängendem Kopf, als ich den weichen panierten Fisch entgegennahm.
    »Dann los und beweg dich vorwärts.« Ich nahm mir einen halben Liter Milch, die Tüte lag glitschig in meinen Händen, und versuchte zu verhindern, dass mir meine Kartoffelkroketten vom Tablett kullerten, als ich mich auf den Weg zu einer Bank machte, die zu einem langen, gut besetzten Tisch gehörte.
    Lisa stach Löcher in ihre Fischfrikadelle und pulte die hellgelbe Käsefüllung aus der Mitte heraus. Mein Blick fiel auf ein verblasstes Poster, auf dem Kinder ihren Göffel – eine billige, aus Plastik bestehende Kreuzung einer Gabel mit einem Löffel – in die Luft hielten, um auf die Wichtigkeit von richtiger Ernährung hinzuweisen,
als eine Dame mit einem Papierklemmbrett in der Hand Ma ansprach.
    »So, wie alt sind Ihre Kinder, Ma’am?«, fragte sie.
    »Sieben, und die Kleine ist fünf.« Ma blinzelte und lächelte vage, aber ich konnte sehen, dass das Gesicht der Frau für Ma mit ihren schlechten Augen zu weit weg war. Die Frau notierte sich etwas und brummelte dabei ein »So, so, tatsächlich« vor sich hin, als hätte Ma etwas Interessantes von sich gegeben.
    Das Gespräch dauerte eine Weile, denn die Frau stellte Ma viele persönliche Fragen über das Einkommen der Familie durch die Sozialhilfe, Mas Ausbildungsniveau und ob sie mit unserem Vater zusammenlebte. »Wo ist er? Arbeitet er?«, und so weiter und so fort. Ich schob die Kroketten in meinem Mund hin und her und zerstückelte sie mit meinem einzigen Schneidezahn. Sie waren in der Mitte noch kalt und schmeckten nach mit gefrorenem Wasser angefeuchteter Pappe.
    »Verstehe. Und wann haben Sie vor, dieses Mädchen hier in die Schule zu schicken?« Sie deutete mit ihrem Finger auf mich. Ich rutschte näher an Ma heran. Die Frau mit dem Klemmbrett redete mit ihr in demselben Tonfall, den Erwachsene benutzten, wenn sie sich zu mir herunterbeugten, um mir zu sagen, wie groß ich doch geworden sei.
    »Diesen Herbst, die Straße hinunter in die Public School 261«, antwortete Ma.
    »Mmmh, tatsächlich? Danke, Ma’am. Lasst es euch schmecken, Kinder«, wies sie uns an und ging dann weiter zum nächsten Elternteil.
    »Meine Kleine wird erwachsen«, sagte Ma. Sie ignorierte die Einmischung der Frau einfach und zog mich kurz zu sich heran. »In nur zwei Monaten wirst du eingeschult.«
    Ich dachte über die Wörter erwachsen werden nach – erwachsen werden sagte ich lautlos zu mir selbst. Ich betrachtete die Erwachsenen in der Cafeteria auf der Suche danach, wie erwachsen werden
aussah, in der Hoffnung, irgendwelche Anhaltspunkte zu finden, was mich da erwartete.
    Ich beobachtete, wie die Frau mit dem Klemmbrett eine andere Dame nervös machte, als sie sich zu ihr hinunterbeugte, um ihre Informationen zu sammeln. Ich mochte es nicht, wie Ma zu ihren Fragen gelächelt hatte, und auch nicht, wenn sie nett zu der unfreundlichen Frau im Auszahlungsbüro der Sozialhilfe war, die wie eine Adelige hinter ihrem Holzschreibtisch saß – wenn Ma so klang, als würde sie betteln. Ich mochte es nicht, Angst vor den für Ma zuständigen Sozialarbeitern zu haben, wenn ich durch die Wohnung raste und wegen ihrer Überraschungsbesuche beim Aufräumen half, oder übermäßig freundlich zu den launischen Angestellten in der Cafeteria zu sein. Es jagte mir Angst ein, dass Fremde die Macht hatten, uns so viel von dem, worauf wir angewiesen waren, entweder wegzunehmen oder zuzuteilen.
    Die Regeln der Cafeteria stellten klar, dass das Essen ausschließlich für Kinder bestimmt war,

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