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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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Füße zu kommen, während er in Erwartung weiterer Instruktionen zu Mrs McAdams aufsah.
    Das Jucken wurde immer stärker und forderte volle Aufmerksamkeit. Ich musste meinen ganzen Willen aufbringen, um nicht wieder zu kratzen. Plötzlich hob David die Hand und brachte damit die Prüfung und die gesamte Klasse abrupt zu völligem Stillstand.
    »Mrs Reynolds? Da ist ein komisches Tier auf meinem Tisch.« Das Lebewesen ruhte sich gerade kurz am oberen Rand von Davids Blatt aus, genau da, wo er Zeit in sauberen kleinen Buchstaben niedergeschrieben hatte. Ein Mädchen neben ihm kreischte los: »Iiiiii, das ist ja widerlich! David, du bist voll widerlich!«
    »Ich hab nichts – ich war’s nicht! Ich weiß nicht, wo das herkommt. « Die ganze Klasse fing an zu tuscheln. David lief knallrot an und verschränkte die Arme vor seiner Brust, den Tränen nahe.
    Mrs Reynolds kam für eigene Recherchen angeeilt, suchte aber irrigerweise nach Essen in den Fächern aller Arbeitstische. Sie war gerade dabei, mit zittrig-schriller Stimme eine Rede über das Mitbringen von Lebensmitteln in Klassenzimmer und den daraus resultierenden Kakerlakenbefall zu halten, als ich mich wieder kratzen musste und ein weiteres Tier, klick , auf mein Blatt fiel. Keine Chance, die Tatsache, dass dieses Lebewesen aus meinen Haaren auf mein fast leeres weißes Arbeitsblatt gefallen war, vor dem Mädchen neben mir zu verbergen.
    »O mein Gott, die kommen ja aus ihren Haaren «, rief Tamieka.
    Kurze schrille Schreie und Ekelbezeugungen entluden sich im ganzen Raum.

    Mrs Reynolds’ kalte, knochige Hand zog mich am Handgelenk durch das ganze Geheule und Gezeter hinaus aus dem Zimmer und den ganzen Flur entlang. Unter Beobachtung einer Sekretärin befahl sie mir, mich auf einen Bürostuhl zu setzen, den man in die Mitte des Zimmers geschleppt hatte, weit weg von allem. Sie brach zwei hölzerne Mundspatel aus einem dünnen Packen ab, scheitelte mein Haar mit den Enden und entdeckte die Läuse sofort. Aber statt zurückzuweichen, suchte sie weiter herum und ließ Bemerkungen darüber fallen, wie »verseucht« mein Kopf doch sei. Dann trat sie zur Seite, um der Sekretärin einen Blick darauf zu gestatten, während sie die Spatel benutzte, um weitere Läuse aufzuscheuchen, die dann unter den Blicken der beiden Frauen auf die grünen Fliesen herabfielen.
    Mrs Reynolds zerrte mich zurück in die Klasse und befahl mir, an der Tür stehen zu bleiben. Sie ging zum Lehrerschrank und wühlte suchend darin herum.
    Tamieka fixierte mich und flüsterte dabei einem anderen Mädchen etwas ins Ohr. Sie kicherten, zeigten auf mich, glotzten mich an. Mrs McAdams schlug laut mit der Hand auf ihren Schreibtisch und herrschte die beiden an, »nett« zu sein, wodurch sie ungewollt die Aufmerksamkeit der restlichen Schüler auf mich lenkte. Kurz darauf hielt Mrs Reynolds eine Flasche Essig in die Höhe und rief in die Stille hinein: »Ich hab’s gefunden! Abmarsch! Du gehst vor mir her – diese Blutsauger sind fähig zu springen.« Hinter uns brachen die Kinder in grölendes Gelächter aus. Aber sosehr ich hier auch gedemütigt wurde, machte ich mir noch mehr Sorgen darüber, was es wohl mit dem Essig auf sich hatte.
    Sie brachte mich vor das Schulgebäude, wo zwei Lehrer eine gemeinsame Zigarettenpause einlegten. Auf der Straße war viel los, Autos flitzten vorbei, und über uns ratterte ein Zug durch. Einen Moment lang dachte ich daran, zu fliehen.
    Aber jede Hoffnung auf Freiheit verpuffte durch Mrs Reynolds’ eisernen Griff auf meiner Schulter. Sie stieß mich gegen die raue
Ziegelwand. Vornübergebeugt, mit den Händen an der Wand, verharrte ich. Dann krempelte sie sich ihre Ärmel hoch.
    »Das hier ist ein Hausmittel mit Familientradition. Keine Sorge, es wird dir kein bisschen wehtun. Du musst nur die Augen schließen. Ich kümmere mich um den Rest.«
    Eine kalte Flüssigkeit ergoss sich über meinen Kopf und brannte an den Stellen, die ich bereits aufgekratzt hatte. Mrs Reynolds rieb meinen Skalp mit brutalen Kreisbewegungen ein, wodurch meine Haare völlig verfilzten. Ich atmete intensive Essigschwaden ein, bis mir schlecht wurde und ich leicht benebelt war.
    Aus meiner Position konnte ich nur das Platschen des Essigs gegen die Wand und vier Füße sehen – meine Sneakers und Mrs Reynolds’ Halbschuhe. Schon bald versammelte sich eine kleine Gruppe neuer Füße ganz in der Nähe: die Lehrer in der Pause.
    Auf gar keinen Fall würde ich wieder in dieses

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