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Als die erste Atombombe fiel

Als die erste Atombombe fiel

Titel: Als die erste Atombombe fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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kam gegen sieben nach Hause. Ich fragte die Leute, die auf der Flucht bei uns vorbeikamen, nach der Kreditanstalt und dem Kleiderdepot, aber niemand hatte Zeit für die Sorgen anderer. Ich konnte nur beten, dass mein Vater und meine Schwester in Sicherheit seien.
    Mein Vater kam gegen zehn Uhr abends nach Hause. Ich war so glücklich, dass ich ihn fest umarmte und weinte. Ich konnte nur sagen: »Vater, Yukiyo ist nicht …«
    Er musste es schon gewusst haben. Tränen liefen ihm über die Wangen.
    In jener Nacht breiteten wir und unsere Nachbarn in der Nähe des Luftschutzunterstandes Strohmatten auf dem Boden aus und legten uns dort hin. Es war ein sternenklarer, wunderschöner Himmel, aber wir konnten nicht schlafen, weil immer wieder die Fliegeralarmsirenen heulten.
    Der Morgen des 7. August brach an. Mein Kopf war schwer, weil ich kaum geschlafen hatte. Schulter und Oberschenkel taten mir weh. Etwas musste mich getroffen haben, als das Haus einstürzte. Aber ich sagte nichts und machte mich mit meinem Vater auf die Suche nach Yukiyo. Nur einen Block von unserem Haus entfernt war alles niedergebrannt.
    Wir sahen die verbogenen Stahlträger der Industriemessehalle und des Fukuya-Warenhauses. An einigen Stellen brannten die elektrischen Leitungsmasten noch und Bäume schwelten. Wir gingen weiter durch die Hitze, wichen elektrischen Leitungen und verbrannten Bäumen aus und gelangten schließlich nach Yokogawa, zwei Kilometer nördlich der Abwurfstelle.
    Wir dachten, dass Yukiyo vielleicht zur Hauptniederlassung zurückgekehrt sei. Wir betraten das Gebäude, aber ich schreckte sofort zurück und hielt mir die Augen zu. War dies die »Hölle auf Erden«? Verbrannte Leichen mit leblosen Augen lagen überall auf dem Boden und hinter den Schaltern. Mein Vater ging zwischen ihnen umher und rief: »Yukiyo, wo bist du? Ist Yukiyo Sera hier?« Aber wir fanden sie nicht.
    Von Yokogawa gingen wir weiter nach Tokaichi, zwei Kilometer nordwestlich des Explosionszentrums. Auf dem Boden lagen viele schwarz verbrannte Leichen. Wir sahen die Leichen eines Soldaten und seines Pferdes und die einer Mutter mit ihrem Baby. Aber wir fanden kein Zeichen von Yukiyo.
    Wir blieben stehen und beteten vor dem Gebäude der Kreditanstalt, wo, so dachten wir, Yukiyo vielleicht gestorben war. Die Gebete, die wir früher für den »Sieg« gesprochen hatten, hatten uns die Hölle gebracht.
    Wir erfuhren, dass der Saft von Gurken gut für Brandwunden sei, aber zu der Zeit waren Gurken schwer zu bekommen. Die Ärzte in der Nachbarschaft, deren Häuser und Kliniken zerstört waren, hatten in der Grundschule von Ohshiba, drei Kilometer nördlich des Explosionszentrums, ein behelfsmäßiges Behandlungszentrum eingerichtet. Aber es wusste natürlich keiner von ihnen, welches die beste Behandlung bei einer Atombombenkrankheit war, da man diese Krankheit noch nicht kannte.
    Jedes Mal, wenn wir ein Flugzeug hörten, lief mein dreijähriger Bruder auf die Straße hinaus, seine Arme und Beine voller Verbände, und schrie: »Bring meine Schwester zurück! Bring meine Schwester zurück!«
    Viele Tage lang gab es keinen elektrischen Strom. Morgens gab es eine Zeitung, deren Druck kaum zu entziffern war. Jeden Tag wurden Leichen verbrannt, in dem Bambusgehölz in der Nähe unseres Hauses, an der Böschung des Flusses oder in den Ecken von Feldern. Es roch furchtbar und manchmal wehte der weiße Rauch bis zu unserem Haus. Es dauerte lange, bis die Brandwunden meines süßen kleinen Bruders besser wurden. Aber er war wie jeder andere kleine Junge, wollte mit den anderen Kindern auf den sandigen Flussufern spielen. Er besorgte sich einen langen Stock und bohrte Löcher in die Papiertüten, die wir gerade geflickt hatten. Bei anderen Gelegenheiten brachte er uns zum Lachen, indem er ein Stück Papier nahm und uns nachahmte und Gesten machte und Lieder sang, die wir nicht verstanden.
    Die Versorgung mit Lebensmitteln wurde schlechter. Oft hatten wir von morgens bis abends nichts anderes als Kürbis. Einmal sagte mein Bruder: »Mama, ich mag keinen Kürbis mehr«, und weigerte sich zu essen, und meine Mutter wandte sich langsam ab und wischte ihre Tränen weg.
    Die Brandwunden meines Bruders verheilten schließlich, aber ab Anfang September litt er an Durchfall. Inzwischen wussten sogar wir, dass Durchfall eines der Symptome der Strahlenkrankheit war, aber in der Klinik behandelten sie ihn nur gegen Ruhr. Sein Zustand wurde immer schlimmer. Es war schrecklich, ihn so

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