Als die erste Atombombe fiel
schreiben kann, füllten ihre Kinder das Antragsformular aus. Die Behörden mochten dies jedoch nicht gelten lassen. Sechsmal schleppte sich die alte Frau zum Rathaus, bis sie dann beim siebten Mal mithilfe von Silgun Ri das Papier erhielt.
Insgesamt 145 Koreanern konnte Ri zu dem Ausweis verhelfen, andere Koreaner unterstützen ihre Landsleute auf ähnliche Weise. Die fragwürdige Anerkennungspraxis eröffnet auf der anderen Seite der Korruption Tür und Tor. So musste ein Abgeordneter der Stadtversammlung von Hiroshima sein Mandat niederlegen, nachdem bekannt geworden war, dass er Einwohnern gegen ein Bestechungsgeld den Ausweis verschafft hatte. Beträge von umgerechnet 300 bis 500 Euro seien pro Ausweis gezahlt worden, sagt Ri und fügt hinzu, von Japanern, nicht von Koreanern, die solche Summen gar nicht hätten aufbringen können: »Die japanischen Beamten sind merkwürdig. Wenn ein Abgeordneter als Zeuge benannt wird und zur Behörde kommt, dann sind die Beamten unterwürfig. Kommt ein einfacher Mann zum Amt und bittet um etwas, dann spielen sich die Staatsdiener in jeder Beziehung auf.«
Selbst bei der ärztlichen Untersuchung, die der Anerkennung vorausgehen muss, gibt es Schwierigkeiten. Nach Angaben von Silgun Ri sind einige Mediziner bei Koreanern besonders gründlich und blocken ohne erkennbaren Grund das Verfahren schon im Vorfeld ab. Solch diskriminierendes Verhalten hat Tradition. So gab es am 6. August 1945 und auch danach Fälle, wo Koreaner, die sich von Militärärzten behandeln lassen wollten, abgewiesen wurden. Ähnlich erging es manchen, wenn sie versuchten, in einem Luftschutzunterstand Unterschlupf zu finden.
Trotz der bedrückenden Erfahrungen ist bei Silgun Ri kein Hass auf Japaner zu spüren, im Gegenteil, für manche Verhaltensweisen hat er sogar Verständnis, auch wenn sie ungerecht sind. Ri selbst gehört ebenfalls zu einer der drei Kategorien, nach denen Atombombenopfer in Japan amtlicherseits registriert werden. Zur ersten Kategorie zählen die am Tag der Explosion, also am 6. August 1945, unmittelbar bestrahlten Opfer; zur zweiten diejenigen Personen, die sich zwischen dem 6. und 20. August 1945 im Umkreis von zwei Kilometern um das Epizentrum aufgehalten haben; und schließlich zur dritten diejenigen, die nach der Explosion von außen nach Hiroshima gekommen sind und sich an der medizinischen Versorgung, der Bergung der Opfer, am Verbrennen der Toten beteiligt haben und dabei radioaktiv bestrahlt wurden.
Da er am 7. August Hiroshima passierte, gehört Silgun Ri zur zweiten Kategorie. Mit seinem Vater, den die Japaner von seinem Hof in Korea vertrieben und anschließend verschleppt hatten, und anderen Koreanern wollte er nach Yamaguchi, südwestlich von Hiroshima, zurückkehren. Um für die Familien etwas hinzuzuverdienen, hatte die Gruppe auf dem Land Reis gekauft und in der weiter nördlich gelegenen Stadt Kobe verkauft. Da kein Zug mehr verkehrte, mussten sie den langen Weg zu Fuß zurücklegen und gerieten dabei in das radioaktiv verseuchte Hiroshima.
Drei Tage nach dem Zwischenaufenthalt in der zerstörten Stadt zeigten sich bei Silgun Ri und einigen anderen die typischen Symptome der Strahlenkrankheit: Haarausfall, Hautausschlag, Durchfall. Da die herkömmlichen Gegenmittel allesamt versagten, griffen die Koreaner zu alten überlieferten Hausrezepten: Mohnblüten wurden zu Pulver gerieben und mit Wasser verdünnt eingenommen; oder Nikotin-Konzentrate mit Mehl vermischt. Da bei Silgun Ri der pickelartige Hautausschlag nicht aufhörte zu bluten, musste er operiert werden. Eine lange Narbe in der Bauchgegend blieb davon zurück.
Die Straßenkrankheit hat Silgun Ri überwunden; er und seine Frau haben vier Kinder. In dem langen Gespräch mit ihm fällt auch jener Satz, den man in Hiroshima oft hören kann und der immer einen bangen, fast beschwörenden Unterton hat. Ungefragt sagt Silgun Ri über seine Kinder: »Sie sind alle gesund.«
Ich bedaure absolut nichts
Gespräch mit Paul W. Tibbets, dem Atombomberpiloten von Hiroshima
Der Atombomberpilot von Hiroshima, Paul W. Tibbets, hat sich nach dem Krieg einige Male zu seinem Einsatz am 6. August 1945 geäußert. Zeichen von Reue, Scham oder Mitgefühl mit den vielen Opfern gab Tibbets nicht zu erkennen. Dafür ließ er sich mit Überlebenden fotografieren, als Beleg einer makabren »Versöhnung«. Das folgende Interview ist der Zeitschrift metall, Nr. 17, vom 26. August 1981, entnommen.
Frage: Wie denken Sie
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