Als die erste Atombombe fiel
Hiroshima ist Geschichte. Es war eine Lektion, gewisse Dinge konnte man daraus lernen. Aber es gibt zu viele neue und interessante Dinge in meinem Leben. Jeden Tag muss ich eher darüber nachdenken als über so etwas wie Hiroshima. Ich lebe nicht in der Vergangenheit.
(Abb. 17)
Symptome der Strahlenkrankheit
Megumi Sera Schülerin der 12. Klasse, damals 6. Klasse
Die alte Frau T., eine unserer Nachbarinnen, war herübergekommen, um sich unseren Mörser auszuleihen. Meine Mutter unterhielt sich mit ihr auf der Veranda und hielt den Mörser in der Hand. Ich lehnte im Wohnzimmer an einem Pfosten und faltete Figuren aus Papier für meinen dreijährigen Bruder. Früh am Morgen hatte ich Bohnen für ihn geröstet, und er aß sie, eine nach der anderen, aus einer Schüssel. Er sah unsere Nachbarin auf der Veranda sitzen, ging zu ihr hinüber, bot ihr die Schüssel an und sagte: »Wollen Sie ein paar Bohnen?«
In diesem Augenblick wurde die Bombe abgeworfen. Die Schiebetüren aus Papier fingen zu brennen an. Ich dachte automatisch »Wasser!« und lief in die Küche. In dem Moment kamen von oben Balken, Mörtel und andere Dinge herunter und warfen mich auf den Boden. Bis ich wieder aufstehen konnte, hatte die dem Blitz folgende Druckwelle das Feuer schon gelöscht.
Einige Minuten lang herrschte unheilvolles Schweigen.
»Megumi-chan! Megumi-chan!« Als die Stimme meiner Mutter ertönte, kam ich zu mir und lief in den Luftschutzunterstand hinten im Garten. Dort waren meine Mutter, mein Bruder, die alte Frau T. von nebenan und deren Schwiegertochter.
Meine Mutter legte die Arme um mich und weinte. Ich sah, dass meine Mutter, mein Bruder und Frau T. alle so schwere Verbrennungen auf der rechten Körperseite hatten, dass die Brandwunden voller Blasen waren und man das rohe Fleisch sah. Ich war entsetzt und lief zum Haus zurück, um Medikamente zu holen. Jetzt sah ich erst, wie schwer das Haus beschädigt war.
Obwohl unser Haus etwa zweieinhalb Kilometer vom Explosionszentrum entfernt war, stand kaum noch etwas außer den Trägern. Im Dach gähnte ein riesiges Loch, alle Deckenbalken des Wohnzimmers waren verschwunden und die im Zimmer nebenan nach oben gebogen. Die Schiebetüren hatte es weggeblasen und der Verputz war von den Wänden gefallen. Eine drei bis vier Zentimeter dicke Schicht aus Glasscherben und Mörtel bedeckte den Tatami- Boden. Die Nähmaschine, die im Korridor gestanden hatte, lag umgekippt in der Mitte des Wohnzimmers. Ein paar Steppdecken, die neben dem Haus in der Sonne gehangen hatten, waren durch die zwei Zimmer hindurch in die Küche geblasen worden. Meine Mutter folgte mir verängstigt. Sie verbot mir in das Haus hineinzugehen. »Hier ist eine Bombe gefallen. Es ist gefährlich hineinzugehen.«
Zu der Zeit glaubten wir beide noch, dass unser Haus direkt von einer Bombe getroffen worden sei. Aber ich wollte mich so schnell wie möglich um die Brandwunden meines Bruders kümmern. Ich betrat vorsichtig das Haus und suchte mir von der Türschwelle aus einen Weg. Eine Bombe konnte ich nirgends entdecken. Glücklicherweise war der Arzneikasten heil geblieben und ich fand eine Brandsalbe darin. Wir behandelten alle Wunden mit der Salbe.
Kurz danach hörten wir laute Stimmen von der Straße vor dem Haus und gingen hin, um zu sehen, was dort los war. Viele Menschen hatten sich um den Luftschutzbunker in der Nähe versammelt. Das Haus der Familie M. stand in Flammen und war schon zu etwa achtzig Prozent abgebrannt. Frau M. lief verzweifelt um das Haus herum und schrie: »Mutter muss noch drinnen sein!«
Nachdem wir uns etwas beruhigt hatten, begannen die Sorgen um die Familienangehörigen, die zur Arbeit gegangen waren.
Zwei meiner älteren Schwestern arbeiteten in einer Firma weit draußen in den Vororten; ihnen war sicher nichts geschehen. Aber mein Vater war im Kleiderdepot beschäftigt, und meine dritte ältere Schwester arbeitete in der Kreditanstalt in Sakancho, 500 Meter nordwestlich der Abwurfstelle. Da sie von dort in weniger als einer Stunde nach Hause gelangen konnte, wussten wir, dass etwas geschehen sein musste. Entweder war sie verletzt, oder man hatte ihr nicht gestattet, die Firma zu verlassen, oder … schlimmer … Das Schicksal entschied sich für die dritte Möglichkeit. Das Leben meiner 19-jährigen Schwester endete, als das Gebäude der Kreditanstalt zerstört wurde.
Gegen halb sieben erfuhren wir, dass meiner ältesten Schwester nichts passiert war, und meine zweite Schwester
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